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Wir waren unsterblich (German Edition)

Wir waren unsterblich (German Edition)

Titel: Wir waren unsterblich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber
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gähnte demonstrativ. Dabei achtete er peinlich genau darauf, die Hand vor den Mund zu halten. Nicht als Ausdruck guten Benehmens, sondern weil er sich wegen seiner schlechten Zähne schämte. Sie sahen so aus, als müssten sie ihm permanent Schmerzen bereiten. Aber Leo mied den Zahnarzt trotzdem wie die Pest. Schon oft hatte ich mir vorgenommen, ihn mal darauf anzusprechen, aber irgendwie ergab sich nie die richtige Gelegenheit. Also lief er weiter mit der Hand vor dem Mund durch die Gegend. Leo trug auch als Einziger von uns viel zu weite, dunkelbraune Kordhosen anstelle der angesagten knallengen Jeans. Dennoch hatte er sich gestern mit einem Mädchen getroffen. Sie hatte ihm im Unterricht einen Zettel zugeschoben. Es ging darum, ob er mit ihr „gehen“ wollte. Verschiedene Antwortmöglichkeiten waren vorgegeben. Leo hatte VIELLEICHT angekreuzt. Bei dem trotzdem zustande gekommenen Treffen schwiegen sie dann die meiste Zeit. Später zeigte er ihr dann eine nicht verheilte Schnittwunde an seinem rechten Daumen. Ich fand das ziemlich verrückt. Und vor allem falsch. Nach meinem Kenntnisstand konnte man so keinen Eindruck auf Mädchen machen.
    „Formicula ist ein Klassiker“, widersprach Hilko paffend. „Der Anfang mit dem umherirrenden Mädchen in der Wüste ist echt unheimlich.“
    Leo verdrehte die Augen. Er stand auf Inspektor Columbo und Erik Ode als Kommissar Keller.
    „Und weiter?“, drängte mich Töffel mit seiner piepsenden Stimme, die mich immer an die ängstlichen Nebenfiguren in den amerikanischen Zeichentrickfilmen erinnerte. Hühner, Mäuse oder Babyelefanten. Aber das hatte ich ihm nie gesagt. Töffel war genau so wie sein Spitzname. Wer ihn das erste Mal sah, hielt ihn für neun, na ja, höchstens zehn. Aber er war so alt wie wir und dennoch einen Kopf kleiner als ich. Er fügte sich, trottete hinterher und gab sehr wenig von sich preis. Er schwieg, wenn wir über den Ärger mit unseren Eltern und den Lehrern redeten. Sein Vater und seine Mutter ließen sich vor drei Jahren scheiden. Töffel lebte seitdem bei einer Tante. Vielleicht beschloss damals etwas in ihm, sich möglichst klein und unauffällig zu machen. Ich musste ihm immer die Filme vom Wochenende erzählen. Seine Tante verbot ihm das Fernsehen am Abend. Weil sie dann das Wohnzimmer für sich brauchte, wie Töffel mal erwähnt hatte.
    Ich war gerade bei der Vernichtung der Ameisenkönigin in der Kanalisation von Los Angeles angelangt, als mir Markus seine Pranken auf die Schulter legte. „Neunzig!“, dröhnte er mir ins linke Ohr. Er hatte sich in der letzten Viertelstunde bei den Mopedfahren vor der Stadtbücherei herumgedrückt. „Ritsch! Das Ding läuft über neunzig!“ Er deutete auf ein schwarzes Mofa mit abgesägten Schutzblechen und bunten Zierbändern am Lenker. Der Besitzer hockte lässig auf dem Sattel und genoss die Bewunderung der anderen Jungen.
    Wir alle wünschten uns ein Mofa. Aber niemand so sehr wie Markus. Er war versessen auf die Dinger. In der Garage seines großen Bruders stand bereits eine verrottete Peugeot, die er für ein paar Mark besorgt hatte. Daran schraubte er ständig herum, zerlegte sie in alle Einzelteile, um, wie er sagte, das Frisieren zu beherrschen, wenn er eine „vernünftige“ Karre besaß. Denn eine Peugeot galt nicht als „vernünftig“. Mädchen fuhren Peugeot und Vespa, wir brauchten Kreidler oder Zündapp.
    Der Bursche mit dem schwarzen Mofa startete, fuhr ein paar Meter auf dem Hinterrad und raste mit lautem Knattern in Richtung Schäferstraße davon. Ein Ehepaar sprang entrüstet zur Seite. Es roch nach verbranntem Zweitaktergemisch.
    Markus schnupperte und seufzte.
    „Wie wäre es jetzt mit Hausfriedensbruch ?“, schlug Töffel mit leiser Stimme vor.
    Ein Vorschlag von Töffel, wenn auch zaghaft vorgetragen, war etwas Seltenes. Wir waren sofort einverstanden. Es fehlte nur der notwendige Proviant: ein paar Flaschen Bier. Um Bier zu bekommen, musste man sich nicht besonders anstrengen. Jeder Supermarkt verkaufte an uns Bier und alle Sorten Fusel.
    Eine knappe Stunde später näherten wir uns, bestückt mit einem Sechserpack Kronen Pils und zwei Flaschen Erdbeersekt, Hausfriedensbruch.
    Ich erinnere mich nicht mehr daran, wem dieser Name eingefallen war. Aber wahrscheinlich entstand er aus einem Hauch schlechten Gewissens, denn wir wussten genau, dass wir uns nicht ganz legal verhielten.
    Wir bogen in den Feldweg ein. Die Asphaltdecke wies tiefe Schlaglöcher auf und aus Rissen

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