Wir wollen Freiheit
ich lange Haare und Lippenstift –, schleppten sie mich in einen Hauseingang und schauten nach, ob ich wirklich eine Frau bin. Dann ließen sie mich gehen. Aber kurze Zeit später, kamen sie auch in meinem Haus die Treppe hoch. Es war schrecklich!«, erzählt sie. Kholood verrammelte sich in ihrer Wohnung und fühlte sich einsam und schwach.
Ganz besonders im Visier stehen jetzt ausländische Journalisten. Die internationalen Medien seien es, die das Ansehen Mubaraks und Ägyptens allgemein geschädigt hätten und die so den ganzen Aufstand erst provoziert hätten. Wenn die internationalen Medien nicht wären, dann würde die Regierung auch nicht international immer mehr in Bedrängnis geraten. »Ich wurde von hinten angesprungen und umgerissen. Männer prügelten auf mich ein und quetschten mir mehrere Rippen. Ich wurde dann in ein Auto gezerrt und in ein Haus gebracht, wo man weiter auf mich einprügelte. Schließlich hat man mich in einem entlegenen Stadtteil auf |48| die Straße geschmissen. Vorher haben sie mir Geld und Handy und Ausrüstung und alles abgenommen«, erzählt Jielis Van Baalen, Zeitungskorrespondent aus den Niederlanden. In die Büros von
Al Dschasira
und
Al Arabiya
dringen Schläger ein und zerstören das Equipment. Auch das Gebäude, in dem deutsche Sender untergebracht sind, wird angegriffen. Besonders groß ist die Angst in den internationalen Hotels. Hier sind die zugereisten, für die Krise geschickten Reporter untergebracht und auch die in Kairo ansässigen T V-Journalisten flüchten sich an diesem Donnerstag dorthin. Die Hotel-Angestellten haben offensichtlich Anweisung, die Arbeit der Journalisten zu behindern. Das Filmen und Senden vom Balkon wird verboten, ihre Ausrüstung müssen die Journalisten zum Teil schon beim Einchecken abgeben. Am Nachmittag sorgt eine Twitter-Meldung für neue Panik: Es heißt, dass die Geheimpolizei in Hotels gehe und Journalisten verhaftet.
Auch ich ziehe an diesem Tag um: Mein Mann und die beiden Kinder fliegen morgens nach Deutschland. Kairo ist zu ungemütlich geworden und außerdem fällt den Mädchen die Decke auf den Kopf. Den ganzen Tag ist der Fernseher an. Das nervt: »Die Bilder haben wir schon gesehen!«, beschwert sich die Ältere. Tatsächlich sendet
Al Dschasira
die Bilder der Demonstranten in Endlosschleife. Seit gestern bleibt der Fernseher im Wohnzimmer aus: Die Bilder sind zu grausam.
Alleine mag ich nicht in der Wohnung bleiben. Sie liegt im Erdgeschoss und außerdem sind wir die letzten Ausländer in unserer Straße. Ich ziehe zu Freunden. Ein Glück, denn hinterher erzählen Kollegen, dass ihnen sogar in ihren Wohnungen Schlägertypen aufgelauert haben. Gezielt suchen sie nach Journalisten. Viele normale Menschen lassen sich von dieser Hetze anstecken. Ich bekomme an diesem Tag viele finstere Blicke, als ich mit dem Auto durch die Stadt |49| fahre. Was ist nur aus dem freundlichen Ägypten geworden? Ist das Hass und Rassismus, der sich aufgestaut hat und jetzt freigelassen wurde? Wie um Himmelswillen wird man diese entfesselten Gefühle je wieder zurückdrängen können, zurückstopfen in die dunkle Box? Wie sollen wir in Zukunft hier leben?
Am späten Nachmittag sitze ich mit diesen finsteren Gedanken vor dem Fernseher. Draußen ist es zu ungemütlich. Kalt, grau, feindlich. Da kommt die Meldung. In der Laufzeile unter dem Bild steht: »Die Moderatorin des staatlichen Fernsehens Schahira Amin tritt von ihrem Job zurück und schließt sich den Protesten auf dem Tahrir-Platz an.« Wie bitte? Zum Glück wird die Nachricht wiederholt und kurz darauf ist auch die Stimme der Moderatorin zu hören – live per Telefon bei
Al Dschasira
: »Ich moderiere nicht mehr, sondern stehe ab jetzt auf der Seite des Volkes.« Dieser Satz ist es, der vielen Menschen wieder Mut macht. Schahira Amin hat im richtigen Moment das Richtige gesagt und die Revolution hat eine Heldin mehr. »Ich habe nicht nachgedacht«, erzählt sie später. Morgens, auf dem Weg zum Sender, überfällt sie plötzlich das Gefühl, dass sie nicht mehr weitermachen kann. »Dann rief noch meine Chefin an, um zu fragen, ob ich auch wirklich komme. Das war vielleicht der entscheidende Moment. Da hatte ich genug. Ich habe mein Auto geparkt und habe meinem obersten Chef eine SMS geschrieben: ›Es tut mir leid, ich komme nicht mehr. Ich stehe auf der Seite des Volkes‹, habe ich ihm geschrieben. Dann war ich weg. Ich ging auf den Tahrir-Platz und da funktionierten ja die
Weitere Kostenlose Bücher