Wir wollen Freiheit
haben unglaublich viel erreicht. Denken sie nur, die Ankündigungen der Reform und dass es freie Wahlen geben soll und dass der Präsident nicht noch einmal antritt. Wissen Sie, das hätte er schon vor langer Zeit ankündigen sollen. Ich selber bin ja schon lange für diese Reformen gewesen. Ich habe es |43| nicht gesagt, aber alle wissen doch, dass ich ein Mann der Reformen bin«, sagt er und schaut prüfend, ob seine Worte auch geglaubt werden: »Naja, egal: Das Entscheidende ist, dass die Demonstranten gewonnen haben. Sie haben es nur noch nicht begriffen. Das ist ihr Fehler.« Er reibt sich die Hände, als er sieht, dass die Massen auf der Straße unten immer dichter und aggressiver werden: »Die jungen Leute da auf dem Tahrir, gleich werden sie rennen!«, sagt er und sein glattes Gesicht verzieht sich zu einem hämischen Grinsen. Dieser Gesichtsausdruck verfolgt mich noch tagelang.
Als ich nach dem Interview auf die Straße treten will, packt mich ein Wachmann der Zeitung am Arm: »Geh nicht!«, sagt er. »Diese Menschen da mögen keine Ausländer. Sie werden sich auf dich stürzen«, sagt er. Die Menschen auf der Straße tragen Latten und kleine Waffen. »Er geht nicht, aber ihr geht!«, brüllen sie. »Es lebe der Präsident«, stimmen die Passanten ein, an denen der Zug vorbeizieht. Angesichts dieser Wucht traut sich keiner, nicht mitzuschreien. Kurz danach erreicht die vor Aggression brodelnde Menge den Tahrir-Platz.
»Wir wussten natürlich, dass die Regierung zu Demos aufgerufen hatte und dass sie sicherlich auch Leute mit Bussen herankarren und bezahlen würden. Aber mit einer solchen Wucht haben wir dann doch nicht gerechnet«, erzählt Kholood Baida. Die 3 1-Jährige mit den raspelkurzen Haaren lerne ich erst Wochen später bei einem Frauentreffen kennen. Als dort eine der Rednerinnen sagt, dass die Frauen zwar während der Revolution eine große Rolle gespielt, sich aber in den Tagen der Gewalt zurückgezogen hätten, schüttelt Kholood Baida empört den Kopf. Die Rolle der Frauen an den Barrikaden werde immer wieder unterschätzt, protestiert sie und erzählt: »Schon als sie sich näherten, sahen wir, dass dies bezahlte Schläger waren. Wenn man für eine Sache auf die Straße geht, dann guckt man anders. Gleich darauf preschten sie mit den Kamelen und den Pferden in die Menge |44| hinein. Wir wussten gar nicht, wie uns geschah. Die Islamisten haben gut reagiert und sie begannen die Verteidigung in die Hand zu nehmen. Sie sind besser organisiert und zudem gewalttätige Auseinandersetzungen eher gewohnt als die anderen. Es bildeten sich spontane Gruppen und es funktionierte viel über Zuruf. Wir bauten Barrikaden und begannen, Steine zu werfen. Ich war vorne dabei und geriet – wirklich Zufall – in die Gruppe eines
Salafisten.
Wie aus dem Bilderbuch: Langes Gewand, Bart, Gebetsfleck. Das sind solche Leute, die Frauen wie mich hassen. Die mich auf der Straße beschimpfen. Höllenfeuer sichern sie mir zu. Der Mann neben mir war sicher auch so eingestellt, aber in diesem Moment haben wir uns in die Augen geschaut und wir haben uns als Menschen akzeptiert. Das war ein ganz toller Moment. Er begann dann, während er Steine warf, Allahu Akbar – Gott ist groß zu rufen. Die anderen stimmten ein. Ich natürlich nicht. Ich mag nicht Allahu Akbar rufen. Er sah mich an, verstand und dann rief er nicht mehr so laut«, erzählt Kholood. Auch die »Ultras Zamalek« mischen wieder ganz vorne mit und ihre straffe Organisationsform kommt ihnen zugute. Wieder ist es auch der Mut der Demonstranten, der beeindruckt: Als die Pferde heranpreschen, rennen die Demonstranten nicht weg. Sie fassen sich an den Händen und bleiben einfach stehen. Die Pferde scheuen und die Angreifer werden abgeworfen. Kurz darauf nehmen Scharfschützen die Demonstranten ins Visier und von den Dächern der Häuser fliegen Molotow-Cocktails auf den Platz.
Im Fernsehen lässt sich an diesem Tag nicht verfolgen, was passiert.
Al Dschasira
, aber auch andere Sender wurden Stück für Stück eingeschränkt: Das
Al Dschasira -Büro
ist schon seit Sonntag geschlossen und die Korrespondenten werden immer wieder verhaftet. Zuletzt sendeten sie zumeist das Live-Bild einer Kamera, die fest auf einem der Häuser am Tahrir installiert war. Diese Kamera spielt eine wichtige Rolle. |45| Das Staatsfernsehen hatte schon ein paar Mal berichtet, dass sich die Revolte aufgelöst habe. Dazu wurde ein Bild vom Tahrir-Platz gezeigt, auf dem der Verkehr ganz
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