Wir wollen Freiheit
hier!«, er deutet auf seinen Kehlkopf. Seitdem ist viel passiert: Letzten Freitag und auch noch am Dienstag haben Hassan und alle anderen jungen Männer, die heute hier auf dem Platz unter dem Gedenkposter herumlungern, aus vollem Hals »Mubarak hau ab!« geschrien. Heute drucksen sie herum. Aber der Tod ihres Freundes lässt sie doch bestimmt nicht kalt? Müssten sie nicht eigentlich heute demonstrieren gehen, warum sitzen sie hier, während draußen die Menschen in Richtung Tahrir strömen? »Ja, natürlich, ich würde auch demonstrieren gehen, eigentlich«, windet sich Hassan. »Da, auf dem Tahrir, da sitzen doch lauter Ungläubige. Sie sind verlottert und haben weder Religion noch Gewissen. Sonst würden sie unser Land nicht so versinken lassen. Ich habe selbst im Fernsehen gesehen, wie sie Geld genommen haben von Ausländern«, mischt sich ein Teenager mit Brille ins Gespräch. »Es gibt ja auch noch eine andere Demonstration. Für den Präsidenten!«, sagt er. Ich verstehe nicht. Auf welcher Seite stehen sie denn nun? Hassan antwortet mit einem Augenrollen: »Ist doch egal. Ich kann hier sowieso nicht weg, schließlich gehöre ich zur Bürgerwehr und darf meinen Posten nicht verlassen.« Aber wieso denn? Die Regierung hat doch erklärt, dass die Plünderbanden und die entlaufenen Gefangenen wieder hinter Schloss und Riegel sind. »Ja, aber es gibt jetzt eine neue Gefahr!«, sagt er. Er kommt einen Schritt näher. »Wir haben Anweisung vom Militär bekommen, |53| alle Ausländer anzuhalten. Wenn sie eine Kamera bei sich tragen, dann sollen wir sie festnehmen und sie an die Soldaten übergeben«, sagt er. »Aber, keine Angst, Sie nehmen wir nicht fest. Sie sind ja nett … oder haben Sie etwa eine Kamera? Nein? Gott sei Dank! Kommen Sie, wir machen Ihnen Tee.« Rasch zieht sein Freund Mohammed ein paar Stühle heran. »Wir sind nicht ausländerfeindlich, doch es ist bekannt geworden, dass die Revolte deswegen so lange andauert, weil sie von Ausländern bezahlt wird. Hinzu kommt die Aufhetzung der ägyptischen Jugend durch die arabischen Satellitenkanäle. Wenn wir die Gewalt also in den Griff kriegen wollen, dann müssen wir diese Elemente unschädlich machen. Deswegen haben die Bürgerwehrbrigaden Anweisung, dass keiner seinen Platz verlassen darf«, erklärt Hassan. Wie geschickt von der Regierung! Die Jugendlichen dürfen nicht weg, können deswegen auch nicht zur Demo gehen. Um sie zu motivieren, bekommen sie eine neue Aufgabe: Ausländer verhaften ist doch fast noch besser als Plünderbanden vertreiben.
»Es ist ja so, dass
Al Dschasira
mit Absicht gelogen hat, um die Jugend zu verblenden. Sie haben Bilder von Verbrechen gezeigt, welche die Polizei begangen haben soll. Das waren reinste Erfindungen. Der Staat Qatar macht das, um das ägyptische Volk klein zu machen«, mischt sich ein dritter junger Mann ein. Er trägt ein rosa Shirt und Schirmmütze. Aber gerade hier am kleinen Platz wissen die Jugendlichen doch, dass die Polizei tatsächlich mit großer Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen ist. »Ja, das stimmt!«, sagt Hassan und schaut nachdenklich auf das Spruchband über sich. Es gehe auch gar nicht so sehr um die Jugendrevolte der ersten Tage, sondern darum, dass die Demonstranten da auf dem Tahrir-Platz den Hals nicht voll kriegen. Sie hätten doch erreicht, dass Reformen gemacht werden und wieso müssen sie dann unbedingt noch den Abgang des Herrn Mubarak |54| erzwingen? »Er ist doch wie unser Vater und da muss man nachsichtig sein«, sagt der mit der Schirmmütze.
»Was ist denn das hier?« Ein Mann im hellgrauen Anzug kommt auf uns zugestürmt: »Sie haben hier gar nichts verloren. Gehen Sie! Gehen Sie!« Er schubst mich. »Onkel, es ist schon gut. Sie trinkt noch ihren Tee und dann geht sie. Nach Hause, da wo Ausländer in diesen Tagen am besten aufgehoben sind!« Als der Wütende außer Hörweite ist, flüstert Hassan: »Der ist vom Geheimdienst und wohnt hier. Keine Angst, wir passen auf Sie auf!« Da kommt gerade ein Taxi vorbei. Jetzt ist es Hassan, der mich schubst; unmissverständlich in Richtung Taxi »Das ist unser Freund Ali, er wird Sie nach Hause fahren. Kommen Sie ruhig wieder zu Besuch, aber bitte, in besseren Zeiten«, ruft er zum Abschied. Dann passiert etwas Merkwürdiges. Der Taxifahrer grinst in den Rückspiegel: »Na, dann fahr ich Sie schnell rum und dann gehen wir alle zum Tahrir-Platz!«, sagt er und gibt Gas: »Dann schaffen wir es gerade noch rechtzeitig zum
Weitere Kostenlose Bücher