Wir wollen Freiheit
Gebet.« Wie bitte? Aber Hassan und Co haben doch gerade gesagt, dass die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz verlotterte Ungläubige seien. Ali grinst wieder: »Haben sie das gesagt? So, so. Naja, man weiß in diesen Tagen nicht recht, was man sagen und denken soll, denn keiner weiß, was kommt!«
Am »Freitag des Abgangs« in Kairo fürchtete sich die große Mehrheit der Ägypter, den Mund aufzumachen. Es ist der Tag der schwammigen Formulierungen und selbst der Titel passt dazu: Tag des Abgangs. Aber soll es der Tag sein, an dem der Präsident sein Flugzeug besteigt oder sind es vielmehr die Demonstranten vom Tahrir-Platz, die heute den Abgang machen? Wer noch nie einen anderen Herrscher als Mubarak gekannt hat – so wie Hassan, Ali und ihre Freunde – weiß, wie man sich auf der sicheren Seite hält.
Zum ersten Mal findet heute das Freitagsgebet auf dem Tahrir-Platz statt. Es ist ein beeindruckendes Bild, so viele |55| Menschen neigen sich gleichzeitig, aber nicht nur das: Drum herum stehen Christen und andere, die nicht am Gebet teilnehmen und bilden eine Menschenkette.
Samstag – Katerstimmung
5. Februar 2011
Dies wird tatsächlich ein Tag des Abgangs: Das Auswärtige Amt in Berlin hat die Reisewarnung verschärft und viele Deutsche, die in Kairo arbeiten, werden abberufen. Viele der für die Revolution geschickten Journalisten, die in den letzten Tagen in den internationalen Hotels große Ängste ausgestanden haben, stehen ebenfalls an diesem sonnigen Morgen vor der Deutschen Botschaft und warten darauf, per Konvoi zum Flughafen evakuiert zu werden. Kurz darauf, in einem Live-Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk, werde ich gefragt, warum ich bleibe. Die Frage ist so formuliert, dass ich mir sehr leichtsinnig und blöd vorkomme: »Ich bleibe, weil wir doch diese Revolte nicht einfach im Stich lassen können. Wir können doch nicht alle abhauen und dann schaut keiner mehr hin, wenn das Regime wieder zuschlägt«, sage ich, aber sogar mir selber kommen diese Worte hohl vor. Ich gehe Cappuccino trinken. Auf dem Weg nach Hause kaufe ich eine Tafel Schokolade und lege mich mit einem Roman ins Bett. Es reicht. Das Handy schalte ich aus. Seit gestern ruft alle paar Minuten ein Mann an, beschimpft mich und droht: »Rede mit mir, warum redest du nicht? Übrigens, wir wissen wo du bist!« Ist das die Staatssicherheit oder ein normaler Belästiger? Wie so vieles in diesen Tagen, zerrt es an den Nerven.
In München tagt die Sicherheitskonferenz und dort spricht Frank Wisner, den U S-Präsident Obama nach Kairo geschickt hat, angeblich, um Mubarak den Rücktritt nahezulegen. Doch Wisner sagt, Mubarak solle bleiben. »Wir |56| brauchen einen nationalen Konsens über die nächsten Schritte und der Präsident muss im Amt bleiben, um diesen Prozess zu steuern.« Erst Tage später kommt heraus, dass Frank Wisner für eine Anwaltskanzlei arbeitet, die wiederum direkt mit wichtigen Mitgliedern der Regierung Mubarak zusammenarbeitet. Das kommt – wie gesagt – erst später heraus. Erst einmal verstärkt diese Rede das Gefühl der Verzweiflung. Am Abend gibt es einen heftigen Regen. Im Fernsehen – ja, inzwischen gibt es wieder Fernsehteams auf dem Tahrir-Platz – sieht man nasse Demonstranten unter Planen zittern. Wer soll das bloß aushalten?
Sonntag – Einheit zwischen Christen und Muslimen
6. Februar 2011
Am Morgen sieht alles schon wieder viel freundlicher aus. Das Leben geht weiter. Viele Leute gehen heute wieder zur Arbeit. Die Sonne wärmt und Frühling liegt in der Luft. Und Lärm. Es gibt wieder Lärm in Kairo. Autos hupen. Stau. Wie schön! Ich bin zu einer Hochzeit eingeladen. Viele der Gäste sehen bleich aus und blinzeln, als hätten sie seit Tagen kein Licht gesehen. Sie warten auf die Braut. Als sie endlich kommt, beginnen die Frauen zu trällern. Mariam Ahdy sieht wunderschön aus, ihr Schleier flattert, als sie im Oldtimer mit offenem Verdeck auf die Kirche zufährt. »Normalerweise macht man sich Sorgen, wenn die Braut zu spät kommt, heute freuen sich alle, dass der Verkehr in Kairo wieder ordentlich verstopft ist«, sagt Philip Hanna, der Bräutigam. Seine Mutter wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie hat einiges mitgemacht in den letzten Wochen. Philip Hanna ist in Bremen aufgewachsen, seine Eltern stammen aus Ägypten und hierher kam Philip nach dem Studium. Er arbeitet als Kulturmanager für die Robert-Bosch-Stiftung. Es sollte |57| eine große Hochzeit werden für ihn und
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