Wir wollen Freiheit
normal fließt. Live stand in der Ecke, aber natürlich kam es aus dem Archiv und das konnte jeder sehen, der auf
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umschaltete. An diesem Tag verschwindet die Kamera vom Dach und lange ist nur ein kleiner Ausschnitt der Kämpfe zu sehen, gefilmt vom Balkon eines Hotels. Brandbomben fliegen, Menschen rennen. Was die Kameras nicht zeigen, sind die Laster, die herankommen und Molotow-Cocktails und Steine bringen. Auch die Minibusse sieht man nicht. Sie bringen den Angreifern Verstärkung, und wer müde ist, wird nach Hause gebracht. Die Demonstranten hingegen müssen durchhalten. Es fällt ihnen leichter, nachdem sie die ersten Angreifer geschnappt haben. Manche tragen Polizeiausweise in der Tasche, andere geben gleich zu, dass sie nur wegen des Geldes gekommen sind. Dies ist keine Auseinandersetzung zwischen Mubarak-Anhängern und Regime-Gegnern. Es soll nur so aussehen. Dies ist ein brutaler Einsatz von Regierungstruppen gegen die Jugendrevolte. Er wurde getarnt, um der Revolte die Legitimität abzugraben und außerdem sieht es so dem Ausland gegenüber nicht ganz so fies aus: Molotow-Cocktails von Häuserdächern, das können sich offizielle Regierungstruppen nicht erlauben. Manche der bezahlten Schläger schließen sich reuig den Demonstranten an, andere wollen nur nach Hause. Die Demonstranten lassen sie gehen; allerdings erst, nachdem sie sie einige Stunden mit Stricken am Treppengeländer des U-Bahn -Schachtes festgebunden haben, sodass sie gefilmt und ihr Geständnis festgehalten werden konnte. Die Bilder der verschreckten Angreifer werden später auf
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gezeigt. Da das Internet ja wieder funktioniert, können die Demonstranten jetzt einfacher Videos hochladen.
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hat eine extra Redaktion, die solche Filme annimmt, prüft und dann in die |46| Nachrichten bringt. Da die Bewegungsfreiheit von Journalisten immer weiter eingeschränkt wird, bekommen diese selbstgedrehten Bilder eine immer größere Bedeutung.
»Für mich war dies ein schrecklicher Tag«, erzählt Schahira Amin, die Moderatorin des Staatsfernsehens. Sie war es, die am ersten Tag der Revolte die Sicherheitskräfte des Senders alarmiert hatte, als sie die Jugendlichen über die Brücke zum Tahrir kommen sah. Sie hatte in den folgenden Tagen frei gehabt und sich dann mit Ausreden davor gedrückt, auf den Schirm zu gehen: »Ich wollte nicht diese Lügen verbreiten und habe dann meiner Chefin erzählt, dass ich unmöglich moderieren kann, ohne vorher zum Friseur zu gehen, und die hatten ja alle geschlossen wegen der Krise«, erzählt die 5 1-Jährige später: »An diesem Mittwoch drückte meine Chefin mir einen Fön in die Hand und ich musste auf Sendung gehen. Den ganzen Tag moderierte ich. Wir berichteten von den Bürgern, die aus Liebe zum Präsidenten auf die Straßen gingen und sich nichts sehnlicher wünschten, als dass Ruhe und Ordnung wieder Einzug halten sollte. Mit halben Augen sah ich die Bilder von den Kamelen und den Molotow-Cocktails bei
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und mir wurde ganz übel. Diese ganzen Lügen, und ich war Teil davon. Das Staatsfernsehen hat in diesen Tagen einen schrecklichen Job gemacht. Wir haben berichtet, dass die Demonstranten jeden Tag ein Gratisessen von Kentucky-Fried Chicken bekommen, dass sie vom Ausland bezahlt und unterwandert sind. Das war schlimm«, sagt sie. Schlimm sei auch diese Ahnung gewesen, dass es kein Zufall war, dass ausgerechnet sie moderieren musste: »In unserer Redaktion arbeiteten ansonsten sehr viele Verwandte und enge Bekannte meiner Chefin. So funktioniert die Personalpolitik bei uns. Wahrscheinlich wollte sie nicht ihre Nichte an so einem Tag auf den Schirm schicken. Mich hingegen wollte sie dadurch zur Komplizin der Gewalt machen. Mich ruinieren«, sagt sie. Als sie am Abend nach Hause |47| fährt, wird auf dem Tahrir-Platz noch gekämpft. Schahira Amin ist zu müde, um nachzudenken.
Donnerstag – Tag der Düsternis
3. Februar 2011
Dies wurde der finsterste Tag der Revolution, dabei fing er so schön an: »Gegen drei Uhr morgens, als die Kämpfe nachließen, saßen wir zusammen auf dem Platz und ruhten uns aus. Es war ein herrliches Gefühl«, erinnert sich Kholood Baida, die Barrikadenkämpferin. Sie habe dann ein bisschen geschlafen und schließlich wollte sie nach Hause und mal schnell duschen. »Das hätte ich nicht machen sollen. Drei Männer in Zivil griffen mich ab. Sie hielten mich wohl für einen Mann. Als sie dann meinen Pass sahen – auf dem Bild habe
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