Wir wollen Freiheit
machen«, sagt er, und außerdem würde sich das Regime fürchterlich rächen, wenn sie jetzt aufgäben. Auch wenn sie jetzt zum Duschen nach Hause wollen und sich vom Tahrir-Platz wegbewegen, müssen die Demonstranten vorsichtig sein. Die Schlägertrupps von der Polizei lauern ihnen auf.
Immer noch geht das Internet nicht und auch viele Handys sind weiter ausgeschaltet: »Man kann sich aber auch ganz altmodisch verabreden«, sagt Bilal Mohammed und grinst: »Alle eineinhalb Stunden treffen wir uns und checken mit unseren Freunden, was es Neues gibt«, sagt er. Von der Idee beispielsweise, dass die Demonstration heute vom Tahrir-Platz in Richtung Präsidentenpalast ziehen soll – dazu hatten Mitglieder der Jugendbewegung des
6. April
aufgerufen –, halten Bilal Mohammed und seine Freunde nichts: »Ich glaube für heute ist es genug, wenn wir mehrere Millionen hier zusammenbringen«, sagt er. Die Demonstranten dürften die Armee nicht überfordern und ein Losmarschieren der Demonstranten würde sie zu einer Entscheidung zwingen.
|41| 17 Kilometer weiter, beim Präsidentenpalast in der Nähe des Flughafens ist es derweil ruhig. Sehr ruhig. Mit Stacheldraht und mehreren Panzern ist die Zufahrt zur Villa Hosni Mubaraks gesichert. Eine größere Demonstration scheint man hier aber nicht zu erwarten. Ein Abstecher in die Nebenstraße zeigt jedoch, dass der Präsident nicht so gelassen ist, wie die Sicherheitsvorkehrungen vor seiner Haustür vermuten lassen. Mindestens 30 Panzer stehen dort in Bereitschaft.
Für den Abend ist eine Ansprache des Präsidenten angekündigt. Endlich. Jetzt ist es geschafft. Bei uns zu Hause wartet die ganze Familie gespannt auf die Rede. Meiner siebenjährigen Tochter reicht es langsam. Seit Tagen will sie Schokoladenkuchen backen und ich habe es ihr versprochen. Wir werden backen, sobald ich Zeit habe. Sobald das hier vorbei ist, sobald Mubarak weg ist. »Mama, wann wird das sein?«, fragt sie immer wieder. »Morgen. Ganz bestimmt, morgen!«, antworte ich ihr, als ich sie schließlich ins Bett bringe. Der Präsident lässt auf sich warten und die Kinder brauchen Schlaf. Doch wir backen nicht. Mubarak hält eine Rede und lässt Ägypten erschüttert zurück. Er werde die Verfassung ändern und im Herbst freie Wahlen abhalten, versprach er. Er werde nicht wieder antreten und auch sein Sohn Gamal werde nicht sein Nachfolger, kündigte er an. Doch zurücktreten werde er nicht. Er wolle auf ägyptischem Boden sterben und nirgendwo sonst. Wer kann einem alten Mann einen solchen Wunsch abschlagen? Mit diesem Satz gewinnt er die Herzen der Ägypter zurück. Nicht derer auf dem »Tahrir«-Platz, aber es gibt ja noch mindestens 78 Millionen andere Ägypter. Auch Präsident Obama äußert sich an diesem Abend wieder: »Es ist nicht die Rolle eines anderen Landes, zu entscheiden, wer Ägypten regiert. Das kann nur das ägyptische Volk tun. Was aber klar ist – und das habe ich auch zu Präsident Mubarak gesagt –, die Übergabe der Macht muss ernsthaft sein und sie muss jetzt beginnen.« |42| Obama hatte heute mit Mubarak telefoniert und ihn angeblich zum Rücktritt aufgefordert. Die Rede Mubaraks war die Antwort darauf.
Der Mittwoch der Kamele
2. Februar 2011
Der Morgen danach ist strahlend schön und es gibt sogar wieder Internet. Auch die Geldautomaten wurden wieder angeschaltet und wie durch Geisterhand wurden in den Armenvierteln die Brotregale der Bäckereien gefüllt. Plötzlich geht wieder alles. Ich bekomme sogar einen Interviewtermin bei Usama al Siraya. Seit Tagen will ich mit einem Vertreter der Regierung ein Interview führen. Immer wieder hatte ich deswegen den Chefredakteur der Regierungszeitung
Al Ahram
, einen engen Vertrauten der Familie Mubarak, angerufen und immer wieder hatte er mich vertröstet: »Al Thuruf, die Umstände«, das verstehe ich doch sicherlich. Als ich ihn an diesem Morgen anrufe, jubilierte er: »Natürlich, kommen Sie vorbei!«, sagt er. Sein Büro liegt im vierten Stock des Redaktionsgebäudes und Usama al Siraya steht während des Interviews immer wieder auf, um aus dem Fenster zu schauen. Auf der Straße ziehen Massen von Pro-Mubarak Demonstranten vorbei. »Er geht nicht, er geht nicht!«, skandieren sie. Es ist der Tag, an dem das Regime zurückschlägt. In der ganzen Stadt versammeln sich Mubarak-Anhänger. Sternförmig ziehen sie zum Tahrir. »Es ist eine ganz klare Sache«, erläutert Al Siraya. »Die jugendlichen Demonstranten
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