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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Gerlach
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Handys nicht. Die Demonstranten erkannten mich und viele waren sauer: Sie hielten mir ihre Falafel-Brötchen unter die Nase und sagten: ›Sehen Sie, Madame Schahira, da sind unsere Menüs von Kentucky Fried Chicken‹. Als ich ihnen sagte, dass ich nicht mehr moderiere, waren sie natürlich begeistert. |50| Von da ab bin ich jeden Tag auf dem Tahrir gewesen«, erzählt sie.
    An diesem Tag trifft auch Mohammed Rifaa al Tahtawi seine Entscheidung. Der 7 1-Jährige stammt aus einer der ehrwürdigsten Familien Ägyptens, sein Ur-Ur-Großvater, Rifaa al Tahtawi ist einer der Begründer der ägyptischen Modernisierung im 19.   Jahrhundert. Sein Nachfahre hat jahrzehntelang als Botschafter seinem Land gedient und ist jetzt Sprecher des Scheichs al Azhar. Der Scheich al Azhar ist zwar offiziell unabhängig, in Wirklichkeit jedoch eine Stütze des Regimes. Das zeigte sich auch in seiner ablehnenden Haltung zu den Protesten. »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich meinen Namen nicht mehr für diese Angelegenheiten beschmutzen lassen darf«, erklärt Tahtawi, weshalb er an diesem düsteren Tag ebenfalls seine Stelle kündigt. »Doch wichtiger noch ist: Ich möchte meinem Schöpfer am Tag des Jüngsten Gerichtes nicht entgegentreten müssen und erklären, weshalb ich einer ungerechten Regierung gedient habe«, erklärt er weiter und lächelt verschmitzt: »Sie wundern sich bestimmt über mein Outfit«, sagt er dann. Das kann man wohl sagen. Bei unserem letzten Treffen vor zwei Wochen trug er Nadelstreifen und Manschettenknöpfe: Jetzt – ich treffe ihn drei Tage nach seiner Entscheidung – hat er Cordhose und Turnschuhe an: »Es ist wichtig, bequem gekleidet zu sein, wenn man auf dem Tahrir-Platz übernachten will«, sagt er.
    Die Brutalität des Regimes Mubarak in diesen beiden Tagen hat viele Mitglieder der Elite endgültig auf die Seite der Revolution gebracht. Das Regime bröckelt. Am Abend tritt der neu ernannte Premier Ahmed Schafik vor die Kameras. Er verspricht Aufklärung der Gewalt. Auch wird gemeldet, dass der verhasste Innenminister Habib al Adly, den Mubarak erst vor einer Woche abgesetzt hat, an der Ausreise gehindert wurde. Von einigen anderen Ministern und Geschäftsleuten |51| hieß es in den letzten Tagen, dass sie sich per Privatflugzeug davongemacht hätten.
    Freitag   – Der Tag des Abgangs
4.   Februar 2011
    Die letzten Tage waren für viele in Ägypten als würden sie mit verbundenen Augen Achterbahn fahren. Einen Tag ist die Begeisterung für die Revolution enorm. Am nächsten Tag jubeln die Massen dem Präsidenten zu. In einem Moment herrscht Begeisterung und Hoffnung, dann macht sich wieder Angst und Hass breit. Was soll man da noch denken? Vor allem: Was soll man sagen und zu wem? Der Satz dieses Tages ist: »Inscha Allah Kheir   – So Gott will, wird alles gut!« Was gut ist, bleibt offen. Dieser Satz hat den Vorteil, dass man immer richtig liegt, egal, ob man mit einem Revolutionsanhänger oder einem Spitzel der Regierung spricht.
    Am Tahrir-Platz wird heute wieder demonstriert. Barrikaden, Steine und Scherben werden weggeräumt und die Zelte wieder ordentlich aufgestellt. An der großen Moschee von Mustapha Mahmoud im Stadtteil Mohandessin versammeln sich derweil die Mubarak-Anhänger. Genau dazwischen liegt der Stadtteil Agouza. Nicht arm, nicht reich, ganz normal.
    »Gut, dass Du mit Salamu Aleikum gegrüßt hast, sonst hätte ich dich mitgenommen«, sagt ein stämmiger Schlachter, der vor seinem Geschäft in der Gasse steht: »Ausländer sind hier nicht willkommen. Was willst du hier?«, bellt er. Doch er hält die Strenge nicht durch, sie bröckelt aus seinem Gesicht und es zeigt sich ein kleines Lächeln. Er ist eigentlich ein Guter, das kann er nicht verbergen. »Die Menschen sind so sauer, weil sich das Ausland in unsere Angelegenheiten einmischt. Was ist denn das für eine Vorstellung von Demokratie, dass jetzt in Washington entschieden wird, wer bei |52| uns regiert?«, erklärt er. Ich solle bloß vorsichtig sein, die Wut sei wirklich groß und die Menschen unberechenbar.
    Die Gasse schlängelt sich weiter bis zu einem kleinen Platz: »Für den Helden der Freiheit Mohammed Salim« steht in großen Buchstaben auf einem Transparent, das zwischen den Häusern gespannt ist: »Mohammed war unser Freund«, sagt Hassan, 23, der ein blaues Sweatshirt und Sneakers trägt: »Er wurde genau vor einer Woche bei der großen Demo erschossen. Ein Gummigeschoss eines Polizisten traf ihn

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