Wir wollen Freiheit
Mariam, in einem feinen Hotel, mit vielen Gästen. Natürlich kamen seine Eltern frühzeitig, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Am Silvestertag landeten sie in Kairo. Ausgerechnet. Denn in der Nacht zum 1. Januar explodierte vor einer Kirche in Alexandria eine Bombe und es starben 24 Menschen. Weihnachten, das die orthodoxen Kopten am 6. Januar feiern, war dann geprägt von Angst vor einem weiteren Anschlag. Es war aber auch geprägt von einer Welle der Solidarität: Viele Muslime kamen zu den Kirchen, um den Christen beizustehen. Und auch heute sitzen viele Muslime mit in der Messe.
Philip und Mariam sitzen vorne neben dem Altar und tragen goldene Umhänge. Sie können nicht aufhören zu lächeln. Das ist Glück. Beim Herausgehen aus der Kirche komme ich mit einer Frau mit geblümtem Kopftuch ins Gespräch. Nach zwei Sätzen lädt sie mich zum Essen ein, zu sich nach Hause. »Sie müssen kommen, bitte, sagen Sie nicht nein!«, drängt sie. Viele haben heute das Gefühl, der Ausländerfeindlichkeit der Regimeanhänger etwas entgegensetzen zu müssen. »Willkommen!«, ruft mir später ein Mann aus einem Auto zu. Wie schön.
Auch auf dem Tahrir-Platz wird heute Messe gefeiert. Über knarzende Lautsprecher erschallt das Gebet über den Platz. Der koptische Papst Schenouda III. hat seinen Priestern verboten, hier das Gebet zu leiten, denn die Kirche hält Abstand zur Revolution. Zur Not geht es aber auch einmal ohne Priester. Viele Muslime stehen dabei und wieder wird das Symbol von Kreuz und Halbmond getragen. »Da sieht man doch, was hier alles möglich ist, wenn nur endlich einmal der Diktator seine Finger nicht im Spiel hat«, sagt eine junge Christin. »Es gibt in Ägypten kein wirkliches Problem zwischen den Religionen, es ist nur die Regierung, die uns immer wieder gegeneinander ausgespielt hat. Im eigenen Interesse«, |58| sagt sie. »Das Regime denkt, dass wir – solange wir aufeinander losgehen – nicht gegen die ungerechte Herrschaft protestieren«, ergänzt eine junge Frau neben ihr. »Das gilt übrigens auch für andere Krankheiten, unter denen unsere Gesellschaft in den letzten Jahren schwer gelitten hat: sexuelle Belästigung etwa. Hier auf dem Tahrir-Platz gibt es das nicht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir hier alle ein gemeinsames Ziel haben und die jungen Männer nicht gelangweilt und gefrustet auf der Suche nach jemandem sind, an dem sie ihren Ärger auslassen können«, sagt sie.
An diesem Sonntag trifft sich der neue Vizepräsident Omar Suleiman mit Vertretern der
Muslimbruderschaft
. Erstaunlich. Die
Bruderschaft
ist seit Jahrzehnten verboten und erst vor 10 Tagen wurden mehrere Führer verhaftet. Jetzt sitzen sie mit dem Vize-Präsidenten zusammen und beraten über Verfassungsänderungen. Auch hat sich ein »Rat der Weisen« gebildet. Er besteht aus angesehenen Intellektuellen, der Journalist Salama Ahmed Salama und der Politikwissenschaftler Amr Hamzawi gehören dazu. Nobelpreisträger Ahmed Zuweil ist aus den USA angereist, dort lebt und forscht der Physiker seit Jahrzehnten. Jetzt will er seinem Land beistehen. »Wir müssen die Krise lösen«, sagt er am Abend bei einer Pressekonferenz. Die Krise – von ihr ist heute viel die Rede – besteht darin, dass Hosni Mubarak nicht geht und auch die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz sich nicht wegbewegen. Ziel der Vermittlungsbemühungen ist, die Regierung auf einen konkreten Reformfahrplan zu verpflichten. So will man die Demonstranten überreden, nach Hause zu gehen, damit die Menschen endlich zur Normalität zurückkehren können: »Was das Land jetzt braucht ist Weisheit!«, sagt Ahmed Zuweil.
|59| Der Montag des Auftritts von Wael Ghoneim
7. Februar 2011
Die Weisheit der Revolution ist jedoch, dass es immer noch mehr zu holen gibt. Salamitaktik. Mal gibt es eine neue Regierung, dann werden Verfassungsreformen angekündigt. Jeden Tag ein Scheibchen. Es lohnt sich, auf dem Tahrir-Platz durchzuhalten. Heute machen sich allerdings viele Sorgen, dass sie einer Zoostrategie zum Opfer fallen. »Ich finde es schrecklich, dass die Menschen um uns herum es alle so eilig haben, zu ihrem normalen Leben zurückzukehren. Sie sehen nicht, wie wichtig es ist, dass wir weitermachen«, sagt May Al Zeini. Die 2 6-Jährige arbeitet für eine Entwicklungshilfeorganisation. Sie steht am Rande des Tahrir-Platzes, Zigarette in der Hand und hält Ausschau nach Freunden: »Das Schlimmste wäre, wenn sie uns eine Art Reservat
Weitere Kostenlose Bücher