Wir wollen Freiheit
Chef der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien, weckt sie. Hier und jetzt in Ägypten kann, soll, muss sich etwas ändern.
»Ich bin nicht unbedingt davon überzeugt, dass ElBaradei ein guter Präsident für Ägypten wäre«, erklärt der Aktivist Walied Raschid, als wir uns zum ersten Mal treffen. Es ist ein heißer Freitag im September 2010. Die Anhänger von Mohammed ElBaradei fahren im Auto-Konvoi in die Provinz al Sharqia. In dem kleinen Dorf Diab al Nigma wollen sie eine Kundgebung abhalten. Mohammed ElBaradei wird dazu nicht erwartet, aber eigentlich brauchen die Jugendlichen ihn auch nicht. Sie haben sich daran gewöhnt, dass Mohammed ElBaradei zumeist im Ausland ist. Seine Abwesenheit hat der Bewegung sogar gutgetan: Die Jugendlichen handeln selbstständig. Es reicht, dass er manchmal kommt. Dann passiert auch immer etwas. Bei einem der Besuche gründete er mit zahlreichen anderen Oppositionellen die »Nationale Allianz für Veränderung« (NAC). Ihr Ziel ist, über Partei- und Ideologiegrenzen hinweg den Weg für faire Wahlen zur Präsidentschaft 2011 frei zu machen. Bei einem späteren Besuch traf er sich auch mit den Führern der
Muslimbruderschaft
. Die
Brüder
treten der NAC zwar nicht bei, |91| unterstützen aber die Ziele und beteiligen sich an der Sammlung von Unterschriften unter den Sieben-Punkte-Forderungskatalog der NAC.
Die Flugblätter mit ihren Forderungen haben die Jugendlichen auch heute dabei. Rechtzeitig zum Freitagsgebet erreichen sie das Dorf und werden dort von einigen Ingenieuren und Ärzten begrüßt, die sich hier in Diab al Nigma für ElBaradei engagieren. Eigentlich sollten auch die lokalen
Muslimbrüder
kommen, aber sie haben abgesagt. In den Tagen zuvor sind Fotos von ElBaradeis Tochter in einer Zeitung veröffentlicht worden: Das Mädchen trägt Spaghettiträger und auf dem Tisch vor ihr steht etwas, das eine Bierflasche sein könnte. Die Fotos – so wird vermutet – wurden lanciert, um einen Keil zwischen ElBaradei und die
Muslimbrüder
zu treiben. Aber es sollen dann doch in erster Linie die Drohanrufe der Staatssicherheit gewesen sein, welche die
Muslimbrüder
von Diab al Nigma davon abgehalten haben, an diesem Freitag mit auf die Straße zu gehen. So ist es nur ein kleines Grüppchen, das die Parolen in den Straßenverkehr schreit.
Auf der anderen Seite der staubigen Durchgangsstraße haben sich Anhänger von Gamal Mubarak versammelt. Sie tragen ein großes Bild vom Präsidentensohn. »Gamal Mubarak ist der beste Kandidat für das Amt des Präsidenten und es ist nicht einzusehen und ja auch ganz und gar undemokratisch, dass er nicht antreten soll, nur weil er der Sohn seines Vaters ist«, erklärt Magdy al Khordy. Er ist der Initiator einer Kampagne für Gamal Mubarak. Ebenso wie die Anhänger ElBaradeis sammelt auch er Unterschriften. Durch den Willen des Volkes soll Gamal Mubarak zum Kandidat werden, nicht weil sein Vater ihn dazu macht, so die Logik von Magdy al Khordy.
Die Anhänger von Mohammed ElBaradei zahlen einen hohen Preis für ihre Aktionen. »Ich wurde schon zwei Mal nachts abgeholt«, erzählt Samir Hamdy. Der 2 4-Jährige studiert an der privaten Future-Universität: »Sie kamen gegen 2 |92| Uhr nachts und holten mich im Pyjama ab, verbanden mir die Augen, fragten mich aus und schlugen mich. Dann nahmen sie mir das Handy ab und schmissen mich außerhalb der Stadt aus dem Auto.« Er werde sich davon aber keinesfalls einschüchtern lassen. Im Gegenteil: »Ich bin überzeugter denn je, dass wir dringend eine neue Regierung brauchen«, sagt er. Aber wie viele Verhöre dieser Art wird er aushalten?
Im November 2010 wird ein neues Parlament gewählt. Viele Oppositionsparteien boykottieren die Wahlen. Die
Muslimbrüder
treten aber an: »Wir machen seit Jahrzehnten politische Arbeit im Parlament und wollen diese Art der Opposition fortsetzen«, sagt Amr Zaki, einer der jungen Kandidaten der
Bruderschaft
in einem Interview kurz vor den Wahlen. Mehrere seiner Mitarbeiter sind von der Staatsicherheit abgeholt worden. Nach drei Tagen ließ man einen von ihnen wieder frei; mit schweren Spuren der Misshandlung. »Wir wissen, dass so etwas passiert, und wer bei uns mitmacht, weiß das auch. Der Bruder hat sich gleich wieder in die Arbeit gestürzt. Das hilft am besten.« Im Wahlkampf geht es der
Bruderschaft
nicht nur um die Wahl: »Es ist für uns auch eine wichtige Gelegenheit, mit den Menschen überhaupt ins Gespräch zu kommen und sie mit unseren Zielen
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