Wir wollen Freiheit
Wahlen und hat seit 1995 ihre Fraktion im Parlament immer weiter ausbauen können. Wie groß die Anhängerschaft dieser größten ägyptischen Oppositionskraft ist, lässt sich schwer abschätzen. 2005 tippen Beobachter, dass sie bei freien Wahlen wohl 30 bis 40 Prozent der Sitze bekommen könnten. Sie ist vor allem wegen ihrer sozialen Dienste und ihrem Netz an Moscheen, |86| Krankenhäusern und Schulen bei der Bevölkerung beliebt; aber auch, weil die
Brüder
als wenig korrupt gelten. Ob das Wahlergebnis von 2005 eine »Panne« des Systems Mubarak war und das Regime nicht verhindern konnte, dass so viele
Muslimbrüder
gewannen, oder ob dies womöglich Teil einer Regierungs-Strategie war, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Bahay El Din Hassan vom Kairoer Zentrum für Menschenrechtsforschung sagt, dass der Wahlerfolg der Regierung Mubarak zumindest gelegen kam: »Er belegte, was sie immer gesagt hatten: Wenn wir in einem Land wie Ägypten freie Wahlen abhalten, dann gewinnen die Islamisten!«, beschreibt er die Logik der Regierung. Auch erreicht die ägyptische Regierung ihr gewünschtes Ziel: Die Begeisterung Washingtons für die Demokratisierung der Arabischen Welt lässt nach diesen Wahlen deutlich nach. Als 2006 dann die Hamas die Wahlen in Palästina gewinnt, werden die Programme weiter zusammengeschmolzen. Der Machtwechsel in Washington 2008 von Bush zu Präsident Barack Obama macht die Abkehr dann auch offiziell: Stabilität, nicht Demokratisierung ist das Ziel des Neuen im Weißen Haus. Die Finanzhilfe für Ägypten wird reduziert und vor allem umstrukturiert. Statt wie bisher knapp 55 Millionen bekommt Ägypten nur noch gut 23 Millionen Dollar Hilfe für Demokratisierungsprojekte. Auch werden nur noch Nichtregierungsorganisationen finanziert, die von der ägyptischen Regierung anerkannt sind. Die Militärhilfe in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar hingegen fließt wie zuvor.
Nach 2005 verliert
Kifaya
an Anhängern. Der Frust über die politische Hoffnungslosigkeit und Rivalitäten unter verschiedenen Flügeln lässt die Bewegung auf einen harten Kern zusammenschrumpfen.
Ahmed Maher und einige andere bemühen sich um Kontakte zur Arbeiterbewegung. »Wir stellten fest, dass politische Forderungen die Menschen nicht erreichten. Sie sagten: Was macht es für einen Unterschied, ob Mubarak regiert |87| oder ein anderer? Die Arbeiter hingegen waren von den Auswirkungen der Privatisierungspolitik der Regierung betroffen. Wir haben mit ihnen darüber diskutiert, wer Schuld an ihrer Misere hat und haben dann über Facebook zu einem Generalstreik am 6. April 2008 aufgerufen«, sagt er. Der Erfolg ist überwältigend. Nicht, dass tatsächlich im ganzen Land die Räder still stehen, aber das Bild vom zerstörten Mubarak-Bild wird eine Ikone.
Kifaya
und der
6. April
beginnen verstärkt, in Armenviertel zu gehen. Als etwa im Kairoer Stadtteil Manshiat Nasr im September 2008 ein großer Fels abstürzt und Dutzende Häuser unter sich begräbt, gehen Aktivisten in das Viertel, helfen bei der Rettung der Opfer – über hundert Menschen sterben – und führen den Protest gegen die Nachlässigkeit der Behörden an.
»Wir machten viele kleine spontane Aktionen in Armenvierteln«, erzählt auch Ahmed Maher: »Wir experimentierten mit neuen Formen des Protestes und haben zu allen möglichen Themen – Gaspreisen oder Lebensmittelknappheit – die Leute auf die Straße gebracht. Fast jeden Tag wo anders. Wir haben sie nicht angekündigt, sondern sind herumgegangen und haben dann an einer Stelle schnell unsere Transparente aufgeschlagen. Bevor die Polizei da war, waren wir wieder weg. Die Staatssicherheit ist davon fast verrückt geworden«, sagt er lachend: Weil sie nie gewusst hätten, wo die Aktivisten als Nächstes losschlagen würden.
Ende Dezember 2008 während des Kriegs in Gaza gelingt es wieder, große Demos zu organisieren. Schnell werden sie zu Anti-Mubarak-Protesten. Statt Transparenten tragen die Demonstranten bei einer der ersten Demos die Titelseite einer Zeitung vor sich her: Das Titelbild zeigt Mubarak beim Händedruck mit der israelischen Außenministerin Zipi Livni. Kurz vor Kriegsbeginn trafen sich die beiden und Mubarak – so die Vermutung – muss von den israelischen Plänen gewusst haben. »Wir verlangen von unserer |88| Regierung nicht, dass sie Krieg mit Israel anfängt, aber sie soll eindeutig Stellung beziehen, den Grenzübergang nach Gaza für die Verletzten öffnen«,
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