Wir wollen Freiheit
Stufen einer Kirche in Alexandria eine Bombe. Es sterben 24 Menschen. Hunderte werden verletzt. Schon seit Langem kommt es immer wieder zu Gewalt zwischen Muslimen und Christen, vor allem in Oberägypten. Auslöser sind oft Liebschaften zwischen Angehörigen verschiedener Religionen oder wenn Menschen ihren Glauben wechseln. Schnell entwickeln sich Fehden, die ganze Dörfer erfassen. Kirchen werden zerstört, Moscheen angegriffen und oft gibt es Tote und Verletzte. Fast immer sind die Toten Christen und nie werden die Täter verurteilt. Die Explosion von Alexandria bringt dies schwelende Thema mit einem Schlag ganz oben auf die Tagesordnung und reißt viele Ägypter aus der Gleichgültigkeit. Sie hatten sich fast damit abgefunden, dass es ein Problem zwischen den Muslimen und den 10 Prozent Christen der Bevölkerung gibt. Doch so ein Anschlag, das geht zu weit! Auch die schleppenden Ermittlungen der Polizei machen die Menschen wütend. Die Regierung – so sehen es viele – trägt auf jeden Fall eine Mitschuld, dass es zu diesem Anschlag kam. Nicht zuletzt ermutige die staatliche Diskriminierung der Christen – dass es beispielsweise fast unmöglich ist, legal Kirchen zu bauen – die Christenhasser in der Gesellschaft. Viele geben der Regierung auch die Schuld für den wachsenden Einfluss von salafistischen Gruppen, die Hass gegen Andersgläubige verbreiten.
Und die Christen? Sie haben Angst. Schließlich gibt es Drohungen von Al Kaida gegen Christen in Ägypten und womöglich schlagen die Terroristen wieder zu. Am 6. Januar kommen daraufhin viele Muslime zu den Kirchen: »Wir verstehen uns als eine Art menschliches Schutzschild für unsere christlichen Brüder und Schwestern«, sagt eine Studentin mit weißem Kopftuch, die mit ein paar Freundinnen zur großen Kathedrale von Abbassia gekommen ist. »Wir dürfen es nicht zulassen, dass unser Land in einen Konflikt zwischen |96| den Religionen abgleitet. Wir müssen Verantwortung übernehmen. Jeder Einzelne. Der Regierung dürfen wir das nicht überlassen«, sagt sie. Die Sicherheitsleute stoppen sie wenige Meter weiter. Muslimen ist der Zutritt zur Kathedrale verboten, es sei denn, sie haben eine persönliche Einladung.
T-Shirts mit ineinander verschlungenen Kreuz und Halbmond werden ein »must-have« in diesen ersten Januartagen und es kommt zu mehreren, allerdings kleinen Demonstrationen. In Alexandria werden Hunderte Islamisten verhaftet. Unter ihnen ist der 3 1-jährige Sayyed Bilal. Er stirbt während des Verhörs. »Wir sind alle Sayyed Bilal«: Unter diesem Motto demonstrieren in Kairo einige Hundert Jugendliche. Wenige Tage zuvor war die Polizei hart gegen eine Demonstration vorgegangen, bei der tunesische Fahnen geschwenkt wurden. Auch heute werden die Demonstranten schnell auseinandergetrieben. Aber erst, nachdem laut und deutlich der Ruf zu hören war: »Mubarak hau ab!«
So ist die Protestbewegung in Ägypten über Jahre gewachsen und mutiger geworden. Entscheidend für die Mobilisierung zur Revolution war vor allem, dass sich Aktivisten verschiedener Richtungen zusammengefunden haben. Islamisten, Liberale und Linke stellten ihre Unterschiede zurück und arbeiteten zusammen auf das eine Ziel hin: Mubarak zu stürzen.
These 4: Es war Einfluss von außen, der die Revolution in Ägypten verursacht hat!
Die ägyptische Regierung behauptete während der Revolution immer wieder, dass ausländische Agenten die Jugend zum Aufstand anstacheln würden. Zum Beweis tritt eines Abends eine junge Frau namens Schaima in der Talkshow »48Stunden« auf und erzählte, sie sei zum Training in die |97| USA gereist und dort von einer israelischen Organisation ausgebildet worden. Später wurde sie als Lügnerin entlarvt.
Ganz so absurd, wie die Geschichte sich anhört, ist sie aber nicht. Natürlich wurden die Jugendlichen der Revolution nicht von israelischen Agenten geschult und vom CIA bezahlt, aber Training und Unterstützung von außen spielen auch für die Revolution in Ägypten eine Rolle.
»Ich reiste 2008 zu einer Konferenz beim Freedom-House nach Washington. Da war Bushs Programm zur Demokratisierung der Arabischen Welt schon am Auslaufen. Als im Winter Obama an die Macht kam, wurde der Kontakt zu ägyptischen Aktivisten ganz eingestellt, aber ich hatte Glück, ich bin gerade noch eingeladen worden. Bei der Konferenz habe ich nicht viel gelernt, aber – und das war wirklich wichtig – ich lernte dort die Leute von
Otpor
in Serbien kennen«,
Weitere Kostenlose Bücher