Wir wollen Freiheit
erklärt Karima Al Hifnawi die Forderungen der Demonstranten. Die linke Apothekerin gehört seit Langem zum harten Kern der ägyptischen Protestszene und zu denen, die immer wieder versuchen, den Unmut der Bevölkerung über ein beliebiges anderes Thema auf die Regierung umzulenken. Jetzt ist es Gaza, auch gut: »Die Menschen sehen doch ganz klar, dass unsere Regierung von den USA und Israel abhängig ist und niemals die Beziehungen abbrechen wird«, sagt sie. »Da ist die logische Konsequenz, dass wir eine andere Regierung brauchen.« Das Besondere an den Demonstrationen Anfang 2009 ist, dass sich die
Muslimbrüder
den Protesten der Linken und Liberalen anschließen. Der Regierung ist dies dementsprechend suspekt. Viele Aktivisten werden verhaftet.
Für den 6. April 2009 ruft ein breites Bündnis wiederum zu einem Generalstreik auf. Wer nicht streiken kann, soll zumindest ein schwarzes T-Shirt tragen; als Zeichen der Zugehörigkeit zum Protest. Im Stadtteil Dokki gibt die Opposition eine Kundgebung. Es ist alles da, was zu einer politischen Protestveranstaltung gehört: Bekannte Oppositionelle halten Reden, Aktivisten tragen Plakate, Fernsehteams interviewen die Anwesenden, Sicherheitskräfte in Uniform bilden einen Kordon und Sicherheitskräfte ohne Uniform stehen einsatzbereit in Sichtweite. Nur eines fehlt: Demonstranten. Es sind kaum Menschen gekommen, die nicht aus beruflichen Gründen hier sein müssen.
Viele Aktivisten haben sich inzwischen von traditioneller Demokultur abgewandt. Entweder experimentieren sie wie Ahmed Maher und einige wenige andere mit neuen Formen des Aktionismus und pendeln immer zwischen Gefängnis und Freiheit – Mohammed Adel beispielsweise wird insgesamt sechs Mal verhaftet – oder sie haben sich ins Internet |89| zurückgezogen. Hier gibt es eine muntere Protestszene. Allerdings sind sie dort auch nicht mehr vor Verfolgung sicher. Zahlreiche Blogger und Internetaktivisten werden verhaftet, oder besser gesagt: Sie werden einfach mitten in der Nacht von der Staatssicherheit abgeholt und dann, je nach dem, ein paar Stunden, Tage oder sogar Monate festgehalten. Die Brutalität der Regierung nimmt in dieser Zeit weiter zu. Besonders betroffen sind Aktivisten der
Muslimbruderschaft
, sie verschwinden oft gleich monatelang im Gefängnis und werden schlimmer misshandelt als Anhänger anderer Richtungen.
Viele Ägypter beschreiben die letzten drei Jahre der Regierung Mubarak als »schwärzeste Zeit« der Geschichte. Zu der stärker werdenden Repression kommt die wirtschaftliche Not vieler Menschen. Die Privatisierungspolitik der Regierung hat große soziale Auswirkungen auf die Arbeiter, zumal der Verkauf der Betriebe nicht nur wirtschaftlichen Prinzipien folgt. Korruption ist im Spiel und eine Reihe von Unternehmen wird an Investoren vergeben, die sie dann ausschlachten und schließen. Aus dieser Unzufriedenheit entwickeln sich zahlreiche wilde Streiks. Ab Anfang 2010 versammeln sich die Arbeiter zu Sitzstreiks vor dem ägyptischen Parlament. Allerdings fehlt ihnen eine gemeinsame Stimme: Die ägyptische Gewerkschaft sieht ihre Rolle nicht darin, die Rechte der Arbeiter gegenüber den Betrieben oder der Regierung zu verteidigen; eher anders herum. So hoffen die Streikenden in erster Linie auf eines: Dass der Präsident in seiner Rede, die er traditionell zum ersten Mai hält, die Löhne erhöht und anordnet, die Privatisierung (ihrer jeweiligen speziellen Firma) rückgängig zu machen. Trotz allem sind die Sitzstreiks vor dem Parlament etwas Neues.
Im Frühjahr 2010 passiert noch etwas: Am 19. Februar trifft Mohammed ElBaradei am Flughafen von Kairo ein. »Für mich war das ein entscheidender Moment«, sagt Mahmoud El Hetta: »Ich gehöre zu dieser vielbeschriebenen Generation, |90| die nie einen anderen Präsidenten als Hosni Mubarak gekannt hat und ich bin damit aufgewachsen, dass es auch keinen Sinn macht, sich für Politik zu engagieren, denn es gibt keine Alternativen. Dann kam ElBaradei und meinte, dass man vielleicht doch etwas verändern könnte. Das hat mir und vielen meiner Freunde Hoffnung gegeben und wir haben angefangen, uns zu engagieren.« Der 2 3-jährige Filmemacher und Computerfachmann richtete die Seite »ElBaradei for Presidency of Egypt 2011« ein. Ähnlich wie Mahmoud El Hetta beginnen sich viele Jugendliche der Mittelschicht zu engagieren. Ein großer Teil von ihnen träumte bisher von einer Zukunft in Europa oder Kanada. Mohammed ElBaradei, der ehemalige
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