Wir wollen Freiheit
vertraut zu machen, oder besser: sie überhaupt zu Kritik an der Regierung zu ermuntern«, sagt Zaki.
In der Regierungspartei NDP gibt es großen Streit um die Ernennung der Kandidaten für die Wahlkreise. Ein Sitz im Parlament ist begehrt, weil er eine gute Einkommensquelle ist. Hinzu kommen Rivalitäten zwischen den Gamal Mubarak-Anhängern und seinen Feinden. Statt ein Machtwort zu sprechen, beschließt der Parteivorstand, nichts zu beschließen und so treten in vielen Wahlkreisen mehrere ND P-Kandidaten gegeneinander an. Politische Beobachter sehen darin eine Schwäche der Führung, Usama Al Siraya, der damalige |93| Chefredakteur der Regierungszeitung
Al Ahram
hingegen stellt es als einen Schritt zur Demokratisierung Ägyptens dar: »Präsident Mubarak hat eine Vision, er will dieses Land zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild machen, ohne dass es zu Gewalt kommt. Das Volk muss langsam herangeführt werden. Was könnte denn demokratischer sein als die Entscheidung, wer der beste Vertreter eines Wahlbezirks ist, den Wählern zu überlassen?«, sagt er. Die Konkurrenz unter den Kandidaten der Regierungspartei führt zu einer Verschärfung des Wahlkampfes. Mehr korrupte Wahllokalbeobachter, mehr nachgemachte Wahlzettel und vor allem mehr
Baltagia
. Später kommt heraus, dass es die Abgeordneten des Parlaments waren, die eben diese Schlägertrupps am Mittwoch der Kamele auf den Tahrir-Platz hetzten. Safwat al Sharif, der Sprecher des Parlaments, soll sich den Angriff auf die Demonstranten ausgedacht haben.
Die
Muslimbruderschaft
gewinnt im ersten Wahlgang keinen einzigen Sitz. Daraufhin boykottieren sie den zweiten Wahlgang. Die »Wafd – Delegations«-Partei schließt sich dem Boykott an. Das Ausland kritisiert höflich »Unregelmäßigkeiten«. Doch in Kairo macht man sich offensichtlich Sorgen: Wie würde das denn aussehen, wenn es im ägyptischen Parlament keine Opposition mehr gäbe? Also wird im zweiten Wahlgang in der anderen Richtung gefälscht. Vertreter von Parteien, die bisher gänzlich unbekannt waren, schaffen es ins Parlament.
Die jungen
Muslimbrüder
drängen darauf, mit einer großen Demo auf die Wahlfälschung aufmerksam zu machen. Viele haben sich im Wahlkampf engagiert und mit vielen Menschen über ihre Ideen und die Korruption der Regierung gesprochen. Jetzt wäre der Moment, sie zu mobilisieren. »Wir haben vorgeschlagen, zum Parlament zu ziehen, aber der Führung war das zu heikel«, beschreibt Ahmed Akil. Dies bringt viele der jungen
Brüder
dazu, noch stärker |94| den Kontakt zu Aktivisten anderer Gruppierungen zu suchen.
Für die
Muslimbruderschaft
hat der Wahlboykott drastische Folgen. Die Parlamentsvertretung gab der
Bruderschaft
immerhin einen gewissen legalen Rahmen und mit den Abgeordneten gab es zumindest einige Führungspersönlichkeiten, die nicht verhaftet werden konnten. Nur Tage nach der Wahl beginnt eine neue Verhaftungswelle.
Im Dezember lädt die Regierungspartei zum Parteitag. Viele erwarten, dass nun endlich eine Entscheidung verkündet wird: Wie geht es weiter in Ägypten? Soll Gamal Mubarak seinen Vater beerben, oder gibt es einen anderen Kandidaten? Doch wieder nichts. Es wird verkündet, dass Vater Mubarak bei den Präsidentschaftswahlen im September 2011 wieder antritt. Doch das ist keine Lösung, schließlich war er erst kürzlich im Krankenhaus in Deutschland und seine Gesundheit soll schwach sein. Die Unklarheit lähmt das ganze Land: Projekte werden nicht begonnen, Geschäftsleute sind vorsichtig bei Investitionen und Regierungsbeamte trauen sich nicht, Entscheidungen zu treffen. Das Jahr 2011 gilt als Jahr der Entscheidung. Sollte Gamal Mubarak der »Neue« werden, ist mit Protesten zu rechnen. Auch ist unklar, wie sich das Militär verhalten würde. Bei den Reichen und Schönen des Landes macht sich eine Art Untergangsstimmung breit: »Wenn ich im Moment auf Partys gehe, dann wird da oft gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Die Leute wissen, dass es unseren jetzigen Lebensstil nicht mehr lange geben wird«, sagt ein Filmregisseur. Er dreht gerade eine Doku über die letzte Party von König Faruk, bevor die Freien Offiziere 1952 putschten: »Damals war eine ähnliche Stimmung!« Seine Party-Freunde finden Mubaraks Diktatur zwar unzivilisiert, allerdings würde Gamal als Präsident noch am ehesten dafür sorgen, dass alles so weitergeht wie bisher.
2011 beginnt mit einem gewaltigen Knall: Kurz vor Ende |95| der Mitternachtsmesse explodiert auf den
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