Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
richtig gesehen: Sie sei an ständige Kommunikation gewöhnt, an ständiges Feedback, ständiges gegenseitiges Auswerten. Klar – was ist ein Gefällt-Mir-Daumen auf Facebook auch anderes als ziemlich vereinfachtes Feedback? Und wer postet tatsächlich Urlaubsfotos ohne den kleinsten Hintergedanken an die neidischen Kommentare, die das bringt? Die Lust an der Selbstdarstellung, die vielen Menschen innewohnt, sie findet im Internet den perfekten Katalysator.
Und noch etwas haben die Manager korrekt festgestellt: Die Jungen begreifen ihr Leben als Gesamtkonzept, sie wollen nicht mehr unterscheiden zwischen ihrem privaten und ihrem professionellen Ich; Kriterien, die ihnen in ihrem Privatleben wichtig sind – eine nette Umgebung, gute Freunde, ein fairer Umgang –, sind es ihnen auch im Job.
Auch der Ton im Internet ist häufig anders, als ihn die Alten im Zusammenhang mit politischen Diskussionen gewohnt sind: lockerer, persönlicher und häufig (selbst-)ironisch. Gerade das Herumblödeln, der doppelte Boden, den viele Kommentare haben, die zahlreichen Querverweise und Anspielungen, machen es für Unerfahrene schwierig, sich zum Beispiel auf Twitter zurechtzufinden. Was «Flausch» bedeutet, können sich die meisten wohl noch irgendwie vorstellen – so tun viele Digital Natives kurz und knapp Sympathie kund. Aber was zur Hölle ist diese seltsame Tastenkombination < 3 ? Da müssen Unerfahrene erst einmal auf die Idee kommen, den Kopf schräg zu legen, um aus der Kombination < und 3 ein Herz herauslesen können. Und wer jetzt zwischen all diesen Spielereien auch noch die politischen Diskussionen rausfiltert – Respekt und willkommen bei der digitalen Avantgarde!
Für Politiker bedeutet das zweierlei: Zum einen müssen sie lernen, tatsächlich mit den Leuten zu kommunizieren und sich dabei auf digitale Kanäle und ihre Sprache einzulassen. Denn die Jungen erreicht man heute viel eher über Online-Medien, Blogs und Facebook als über Bürgersprechstunden und Wahlveranstaltungen. Die haben für viele einen zu offiziellen Charakter, als dass sie einfach mal so vorbeischneien würden. Sie wollen Politiker, die spontan ansprechbar sind, die sich der Öffentlichkeit auch außerhalb ihrer angestammten Biotope stellen, die auch online schlagfertig sind – und nicht nur auf Parteiveranstaltungen. Wenn man es so will, sind die wahlkampftypischen Infostände im Netz das ganze Jahr möglich – und diese Möglichkeit sollten Politiker nutzen.
Und zum anderen ist es schwieriger geworden, sich auf seine Rolle als Politiker zurückzuziehen, also nur sein professionelles Gesicht zu zeigen. Junge Wähler wollen den Menschen hinter dem Politiker sehen. Sie wollen niemanden, der leere Phrasen drischt. Sondern jemanden, der so redet, wie er eben redet – auch wenn die Kameras ausgeschaltet sind. Sie wollen niemanden, der leere Versprechungen macht. Sondern jemanden, der zuhört. Sie wollen niemanden, der sich verstellt und dabei nach Wählerstimmen schielt. Sondern jemanden, der dazu steht, wie er ist: sei es nun hemdsärmelig oder spießig, laut oder leise, witzig oder seriös.
Und hier verhält es sich ein bisschen wie mit den Forderungen der Generation Y in der Wirtschaft – denn natürlich wollen auch ältere Wähler Politiker, die unverstellt sind, wahrhaftig und menschlich. Auch sie wollen einen Politiker, der auch abseits des Wahlkampfs erreichbar ist, der sich ihre Sorgen und Nöte anhört und der nicht alles vergisst, was er versprochen hat, sobald die Wahl gewonnen ist. Das Internet ist hier ein dankbares Instrument, ein vielseitig bespielbarer Kanal, um Kontakt zu halten – ein Instrument, das junge Wähler (noch) viel intensiver nutzen als ältere. Vor allem die Jungen sind es also, die in Zeiten veränderter Kommunikationsformen fordern, dass Politiker diese Formen auch nutzen und ihnen außerhalb von Bürgersprechstunden zuhören.
Eigentlich ist es eine Binsenweisheit: Kommunikation muss in zwei Richtungen gehen, nicht nur in eine. Das galt im Idealfall für Politiker schon immer, nicht umsonst geben sie sich gerne volksnah. Mit dem Internet aber sind neue Möglichkeiten dazugekommen – die einem Politiker zugegebenermaßen mehr abverlangen können als die bisherigen. Doch sie sollten die neuen Kommunikationswege unbedingt nutzen, die ihnen jetzt zur Verfügung stehen. Und diese nicht wegen zu hohem Zeitaufwand oder Angst vor dem Shitstorm scheuen.
Wir sind es einfach gewohnt mitzureden, Feedback zu
Weitere Kostenlose Bücher