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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Beitzer
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ähnliche Familienplanung und sogar ein ähnliches Outfit haben wie man selbst, bis hin zur schwarz gerandeten Brille. Wer das ein paarmal gemacht hat, der kann schon auf dem Weg zur potenziellen Traumwohnung zielsicher die anderen Bewerber aus dem Passantenstrom herausfiltern. Eine Kollegin von mir bezeichnete die durchschnittliche Wohnungsbesichtigung mal lapidar als «Angriff der Klonkrieger».
    Es stimmt, wir alle halten uns für wahnsinnig individuell und besonders und sind uns gerade deswegen in bestimmten Aspekten erschreckend ähnlich. An der Uni fragte mal ein Dozent im Kurs meines Freundes, wer der Anwesenden sich selbst als «normal» bezeichnen würde. Außer meinem Freund hat sich keiner gemeldet – zum Totlachen! Das Blog «Stuff White People Like» macht sich genau über all diese vermeintlichen Individualisten lustig, die ihr selbst gezüchtetes Obst einkochen, bestimmte Fernsehserien (natürlich im Original!) anschauen und betont individualistische Kleidung tragen und genau deswegen mehr Mainstream sind als jede Gartenzwergsammlung. Wobei, Gartenzwerge sind eigentlich auch ein schlechtes Beispiel für Spießbürgertum, die sind ja inzwischen auch ironisch zu verstehen.
    Entscheidend für das Politikverständnis ist allerdings weniger die schwer zu beantwortende Frage, ob wir tatsächlich heute unterschiedlicher ticken als früher. Es geht ums Gefühl, denn Politik war eben noch nie allein Sache des Verstands. Wenn es uns schwerfällt, uns selbst irgendwo einzuordnen, dann ist es für unsere Wahlentscheidungen erst mal nebensächlich, ob andere uns ganz easy-peasy in eine Schublade stecken können. Es kommt darauf an, wie wir uns selbst sehen. Und da sehen wir eben eher ein «Ich» als ein «Wir». Was wir wiederum mit vielen, vielen anderen Jungen gemeinsam haben.
    Nun könnte man meinen, dass Basisdemokratie in einer derart individualisierten Gesellschaft noch schwerer umzusetzen ist. Ist sie aber nicht. Denn da die Trennlinien automatisch verschwimmen, gibt es auch keine unüberwindbaren ideologischen Gräben mehr. Und da jeder selbst für sich Toleranz einfordert für den individuellen Lebensentwurf, sind wir auch selbst toleranter. Oder zumindest pragmatischer als die Generationen vor uns.
    Zudem übersieht die ältere Generation, dass das Internet mit seinen zahlreichen Möglichkeiten der Vernetzung das perfekte Instrument für direkte Demokratie ist. Die Piraten zum Beispiel bearbeiten hier Anträge in Kleingruppen, stellen sie zur Abstimmung, priorisieren das Programm für ihre Parteitage und kommen so deutlich besser voran als ihre grünen Vorfahren. Wenn auch immer noch nicht perfekt, da sie eigentlich Programmbeschlüsse nur bei «Real-Life-Treffen», wie sie das nennen, fällen können. Und auch Demonstrationen lassen sich via Facebook und Mailingliste schneller, spontaner und unkomplizierter organisieren als via Telefon oder gar auf Meetings.
    Aber auch abseits der Piraten gibt es Beispiele dafür, wie das Netz für Mitbestimmung genutzt werden kann. Estland wählt schon seit 2005 online. Und – Überraschung! – das Land gibt es immer noch. In Deutschland sind es vor allem kleine Projekte, die den Versuch der Online-Mitbestimmung durchspielen. In Erlangen können Bürger im Netz Schlaglöcher melden. Die Stadt München sucht auf der Seite Muenchen-Mitdenken.de nach Verbesserungsvorschlägen für die eigene Nachbarschaft. Der Landkreis Friesland führte im vergangenen Jahr sogar die Beteiligungssoftware Liquid Feedback ein und probiert jetzt einfach mal aus, wie sich die Einwohner beteiligen.
    Natürlich stößt die Beteiligung auch an manche Grenzen. So gibt es bereits seit einigen Jahren in zahlreichen Kommunen die Möglichkeit, online über den Haushalt zu diskutieren und Vorschläge einzureichen. Wird die Fragestellung jedoch zu komplex, dann verabschiedet sich ein Großteil der Leute schnell wieder aus der Diskussion, berichten Beobachter. Und es besteht schließlich wie auch beim zivilgesellschaftlichen Protest auf der Straße die Gefahr, dass die Leute, die am lautesten und am engagiertesten sind, nicht unbedingt den Willen der Gesamtbevölkerung widerspiegeln – schon deshalb, weil es hier ebenfalls oft die gut Gebildeten, die Reichen und Selbstbewussten sind, die teilnehmen. Oder auch Vereine und Unternehmen, die viel Zeit und Geld in Kampagnen stecken, die Leute für ihre Ziele mobilisieren sollen. Da kaum ein Mensch sich mit allen Politikfeldern auseinandersetzen kann,

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