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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Beitzer
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haben Lobbyisten natürlich leichtes Spiel.
    Und noch aus anderen Gründen sind Abstimmungen im Internet problematisch – wie auch einige vorsichtige Piraten nicht müde werden zu betonen: Es ist schwer, Betrug vorzubeugen, es gibt datenschutzrechtliche Bedenken, und nicht zuletzt ist auch das Internet nicht barrierefrei – schließlich finden sich viele Menschen dort nach wie vor nicht gut zurecht.
    Doch die Piraten können es immerhin im kleinen Rahmen mal versuchen – sie sind nicht an der Regierung, tun also keinem weh, wenn es mal schiefgeht. Ihre vielleicht wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre ist es, auszuprobieren, wie sich Online-Mitbestimmung umsetzen lässt, in welchen Fällen sie sinnvoll ist und in welchen Blödsinn. Dass sie hier noch zaudern und vor der letzten Konsequenz zurückschrecken, zum Beispiel davor, im Internet Parteibeschlüsse zu fassen, ist vielleicht einer ihrer größten Fehler – weil sie somit ihr ursprüngliches Versprechen, das der Liquid Democracy, nicht einlösen.
    Aber außerhalb der Piratenpartei geht es den meisten Jungen im Moment gar nicht darum, über alles und jeden tatsächlich per Mausklick abzustimmen. Es will sich auch nicht jeder rund um die Uhr mit Politik beschäftigen, denn dazu gibt es schließlich Berufspolitiker. Mitbestimmung muss auch nicht immer direkt eine Abstimmung per Klick sein, wie sich viele eine Online-Demokratisierung vorstellen. Es geht vielmehr um eine veränderte Art von Kommunikation. Politiker, Medienmacher und Wirtschaftsbosse müssen sich darauf einstellen, dass die junge Generation in erster Linie gehört werden will, dass sie Antworten verlangt. Am meisten verärgert sie, dass Wähler im politischen Alltagsgeschäft nichts zu sagen haben.
    Mitbestimmung muss bedeuten, dass Politiker darauf reagieren, was ihnen die Wähler sagen. Dass sie erreichbar sind. Dass sie die Leute um ihre Meinung fragen – ganz egal, ob es Menschen aus ihrer eigenen Partei oder Leute aus dem Wahlkreis sind. Und hier kommt dann doch wieder das Internet ins Spiel: Es bietet unendliche Möglichkeiten, sich einen Überblick über Meinungen, Kommentare und Streitpunkte zu verschaffen. Und die sollten Politiker auch nutzen. Zahlreiche Petitionen, Aktionen oder schlicht Trends entstehen heute im Internet.
    Parteivordere wie Sigmar Gabriel oder Peter Altmaier haben das längst verstanden. Ihnen ist ihre Zeit nicht zu schade, sich mit ihren Anhängern und vor allem ihren Gegnern auf Twitter zu kloppen. Sie haben keine Berührungsängste und scheuen auch kontroverse Themen nicht – so begab sich Sigmar Gabriel sehenden Auges mit seiner Meinung contra Vorratsdatenspeicherung in einen Twitter-Shitstorm. Und schien daran sogar Spaß zu haben. Und Peter Altmaier genießt für seine offene Art sogar Respekt von Leuten, die seine Partei nie im Leben wählen würden. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis: Die Lust am Diskurs, am Streit, an der pointierten Auseinandersetzung, die Politik erst lebendig macht – diese Lust kann jeder Politiker online ebenso ausleben wie auf Parteitagen und Stammtischen.
    Und auch die Tatsache, dass in der parteiinternen Debatte um die Vorratsdatenspeicherung in der SPD Sigmar Gabriel sich nicht zu schade war, mit der Gegenseite, die in der Parteienhierarchie mehrere Stufen unter ihm angesiedelt war, zu diskutieren, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Selbst wenn dann die eigene Meinung nicht durchgesetzt wird, hat man so wenigstens den Eindruck, sie wurde gehört. Und da fällt es gleich viel leichter, auch mal eine Entscheidung zu schlucken, mit der man persönlich nicht einverstanden ist.
    Klar muss sich ein Politiker bewusst sein, dass das junge Online-Publikum kein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung ist – aber das ist noch lange kein Grund, es zu ignorieren. Denn auch auf Stammtischen, in Bierzelten, in Altenheimen und in Konzertsälen finden sie keinen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung, den gibt es wohl so gut wie nirgendwo. Wenn sie sich aber ernsthaft für junge Leute interessieren, dann kommen sie am Internet nicht vorbei.
    Dasselbe gilt übrigens auch für die innerparteiliche Demokratie. Viele Junge sind frustriert davon, dass in den Parteien doch immer nur einige Mächtige und Einflussreiche entscheiden, was passiert. Der SPD hängt zum Beispiel noch heute die Art und Weise nach, wie Gerhard Schröder Hartz  IV und Kriegseinsätze durchgeboxt hat. Ganz abgesehen davon, was man davon hält –

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