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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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Schrift und ›originaler Rechtschreibung‹ faksimilierte.
    »Hoch sey gepriesen der Postwirth im hiesigen Städtgen,
Klöße bereitet er zu, wie selbst Luculi sie nicht aß.«
Den 19. May 1817
    Johann Wolfgang von Goethe {52}
    Indem ich so die Historie eines Gemeinwesens, in dem sonst nichts geschah, als daß redlich, aber auch höchst unsensationell geliebt, geheiratet und gestorben wurde, mit anmutigen Details verbrämte, meine ich nicht nur etwas für die Vaterstadt Angenehmes getan zu haben, sondern ich brachte auch dem eigenen Hauswesen einen schönen Nutzen. Wir waren nun an Küchengerät und Kleidung schon erheblich reicher und legten darüber hinaus sogar einiges Bargeld für die geplante großstädtische Existenzgründung – »für Umssug«, wie es Kirsten nannte – zurück.
    Daran, daß dieses familiäre Ereignis sich betrüblich verzögerte, trug ein anderes, finanzpolitisches, die Schuld, welches als ›Währungsreform‹ in die Geschichte eingehen wird. An einem sommerlich warmen, vom Südwind gefächelten Junitag mußte ich mich mit 280 Mark unseres sauer Ersparten – das heißt einer sogenannten ›Kopfquote‹ von 70 Mark – zum Postamt unseres Städtchens begeben, mich in eine lange, sorgenvoll bewegte Menschenschlange einreihen, um viele Stunden später mit sonderbar beklebten Geldscheinen im Werte von wiederum 280 Mark nach Hause zurückzukehren. Den ›Kapitalüberhang‹, wie dies amtlich genannt wurde, hätten wir in den Mülleimer stecken dürfen, wenn wir bereits einen besessen hätten. So gaben wir das für die eigene Existenzgründung Gehortete unseren Kindern, die sich damit eine kapitalistische Spielexistenz begründeten.
    Kirsten hatte an diesem Abend Tränen in den Augen.
    »Wein' doch nicht«, sagte ich zu ihr. »Ich glaube, heute ist etwas Wunderbares geschehen. Es gibt weder Arme noch Reiche mehr. Alle Deutschen sind gleich. Wir sind – wie Adam und Eva – im Stande der finanziellen Unschuld.«
    »Du hättest ssum Variete gehen sollen!« antwortete Kirsten bitter.
    »Warum? Das versteh' ich nicht.«
    »Als größter Illusionist der Gegenwart.«
    Heute gebe ich ihr recht und weiß, daß meine Phantasie immer dann versagt, wenn sie wirklich nutzbringend werden könnte. In solchen Augenblicken sind mir harte Realisten vom Schlage eines Bruno Tiches, den ich stets phantasielos genannt hatte, um vieles über. Eine Aufzeichnung von ihm aus jenem Juni 1948 hat mich schmerzlich darüber belehrt. Da heißt es:
    »Endlich ist etwas Entscheidendes geschehen. Beim großen Geldschnitt hab ich famos abgeschnitten {53} . Die Ottmar {54} hat die lumpigen 140 Emmchen abgeholt, und ich habe sie ihr in den Strumpf gesteckt. Am Leibe. Für das ganze übrige Kapital habe ich Fahrkarten gekauft, zum alten Preis. Die haben noch eine ganze Zeit gegolten. Nach der Reform hab ich sie wieder abgestoßen. Einfach ein paar junge Leute auf dem Weg zum Bahnhof aufgestellt und die Fahrkarten um ein Drittel billiger verkauft als die Reichsbahn. Das macht bei der Geldknappheit schon was aus. Wir sind den Schamott in Nullkommanichts losgeworden, und ich bin fürs erste mal sanniert {55} . Neulich traf ich einen aus dem B.H. in München. Der ist schon wieder politisch aktiv und wollte, daß ich auch mitmache. Ich werde mir das erst überlegen. Vor allem weiß ich noch nicht, in welcher Richtung.«
    Diesen Abschnitt aus Brunos Memoiren habe ich Kirsten bis heute unterschlagen. Ich bringe es einfach nicht fertig, sie an die ungemütlichen Tage zu erinnern, in denen sich unsere schönen Luftschlösser vom ›Umssug‹ in blauen Dunst auflösten.

Zirkus
    Im Juli 1948 gastierte in unserem Städtchen ein Zirkus mit einem berühmten Namen. Er befand sich eben nicht in der rosigsten Lage; denn für Zirkusvorstellungen hatten die Menschen am allerwenigsten Geld übrig. Doch war der Direktor, der als Elefantendompteur in seinem Unternehmen auftrat, dennoch recht optimistisch, weil er Schlimmeres – eine abenteuerliche Flucht aus böhmischem Frontgebiet, zwischen kämpfenden Truppen und Partisanen und durch menschenverlassene Hungergebiete – glücklich hinter sich gebracht hatte. Über diese Winterodyssee sollte ich in drei aufeinander folgenden Nummern meiner Zeitung berichten.
    Ich erinnere mich noch des gewitterschweren Sommerabends, an dem ich, inmitten der genau ausgerichteten weißen Wagenburg, auf einer Vorstadtwiese stand, darauf in normalen Zeiten Volks- und Schützenfeste abgehalten wurden. Die

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