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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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weil es jetzt ganz hübsch windig wurde, und es roch überall nach Tannengrün. Ich hab' mich ganz nach vorn geboxt und hab' die Alten schimpfen lassen. Und dann kam ein Geschrei – wie in Wellen kam es näher –, und alles schrie ›Hoch!‹ und ›Hurra!‹, und eine Militärkapelle stimmte an ›Heil dir im Siegerkranz‹. Neben mir stand eine Frau mit einem großen Hut und einem rosa Schleier, die schluchzte und sang auf englisch ›God save the King‹, was wir auch im Englischunterricht gelernt haben. Eine Frau aus Leipzig hat es ihr verbieten wollen, aber ein alter Herr hat gesagt, man soll sie nur lassen, denn schließlich ist unser Kaiser mit dem englischen König verwandt, und wenn die Fürsten zusammenhalten, gibt es keinen Krieg. Da hab' ich gedacht: Das war' aber schade!
    Wie der Kaiser ran war in seiner Kutsche, hab' ich so furchtbar ›Hurra‹ gebrüllt und mit allen Händen gewunken, daß es Majestät gemerkt hat und hat mich fest angesehen. Mit ganz stahlblauen Augen, wie es immer in den Büchern steht. In dem Augenblick habe ich ihm auf ewig Treue geschworen {2} . Es sind nachher auch noch andere Fürsten gekommen, wo man aber bloß hat winken müssen und nicht mehr brüllen, und es hat sie auch keiner angesungen.
    Schön ist es erst wieder geworden, wie die Studentenverbindungen in ihren Kutschen vorbeigefahren sind. Die hatten alle prächtige Fahnen, kleine Mützchen und Bänder und lange Stiefel und saßen ganz stolz und steif und haben mir so gefallen, daß ich geschworen habe, ich werde auch einer {3} . Dann kann man immer gleich hinter dem Kaiser fahren, wenn was mit einer Völkerschlacht los ist.«
    Das waren die Stellen aus den hier sehr umfangreichen Aufzeichnungen, die mir für wörtliche Zitate am geeignetsten erscheinen. Bruno Tiches hat dann auch noch das Leben in der Stadt geschildert, und wie es am Abend auf den Straßen, in den Hotels und den Gasthäusern zugegangen ist. Ein Gespräch mit dem Hausdiener seines Gasthofs, in dem recht eindeutige Äußerungen über gewisse zu den Feierlichkeiten zugereiste Damen gefallen sind, muß mit Rücksicht auf ein breiteres Leserpublikum von vornherein entfallen, obwohl es für Brunos Frühreife bezeichnend ist.

Die Mädchen im Park
    Ein Jahr später lebten wir im Krieg, wie Bruno Tiches es sich gewünscht hatte. Aber er und manche seinesgleichen – Minderjährige auch unter den Erwachsenen – kamen zunächst wenig auf ihre Kosten, da unsere kleine Stadt allzuweit entfernt lag von Kriegsgeschrei, eindrucksvollen Kanonaden und geröteten Himmeln, wie man solches aus den sehr realistisch dargestellten Kriegspanoramen großer Städte kannte, wo man als Jugendlicher für zehn Pfennig (Erwachsene zahlten zwanzig) die Schlacht von Sedan einschließlich aller beteiligten Kaiser und Feldherren zu sehen bekam.
    Zunächst hatten wir nur die Genugtuung schulfreier Tage, da einige unserer jüngeren Lehrer zu den Waffen gerufen wurden und die älteren im Schmucke weißer Armbinden mit vorsintflutlichen Vogelbüchsen auf Autos lauerten, die mit Milliardenbeträgen an Gold aus Frankreich, quer durch Deutschland, nach Rußland unterwegs sein sollten. Diese Autoposten verursachten die ersten unschuldigen Kriegsopfer.
    Mein Vater und der von Bruno Tiches wurden für ›unabkömmlich‹ erklärt und blieben daheim. Herr Dragonerrittmeister Kienzel wurde schon am zweiten Mobilmachungstag einberufen. Er kam in ein Textilverwertungsamt in Berlin, wo man ihm eine andere Uniform gab, weil seine Sporen das gute Parkett zerkratzten.
    In den ersten Kriegswochen liefen wir Jungens immer wieder zum Bahnhof, wo lange Transportzüge durchfuhren. Alle Soldaten waren jetzt grau. Nur die Pferde, die mit an die Front mußten, waren braun, schwarz und weiß wie früher. Sie taten mir leid, weil sie ja nun als einzige keine Schutzfarbe hatten und so die Kugeln und Granaten auf sich ziehen würden. Die Waggonwände der Truppentransportzüge waren von oben bis unten mit Verschen bemalt, die wir uns abschrieben. »Jeder Schuß ein Ruß / Jeder Stoß ein Franzos' / Jeder Tritt ein Brit'«, stand da zum Beispiel oder auch in ganz ungereimter Vermessenheit: »Kriegserklärungen werden noch angenommen.«
    Wenn die Züge hielten, kletterte Tiches in die Viehwaggons zu den Soldaten hinein, und dann brachte er meistens dickleibige Wurstbrote mit, Pulswärmer oder Wollsocken, die ihm die Soldaten geschenkt hatten, weil sie nicht mehr wußten, wohin mit der Überfülle an

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