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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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›Altenburg‹ süße Vogeltriller entsandt hätte.
    Wir Erdgeborenen unten begannen uns aufzulösen. Festzylinder mit hellem Seidenfutter wurden gegeneinander geschwenkt, Mägen knurrten, die Feuerwehrmänner sammelten sich. Der Gasinspektor empfing einen Händedruck vom Bürgermeister und die Zusicherung des Direktorentitels für den nächsten nationalen Feiertag.
    Vom Himmel schwebte etwas nieder. Viele Kinderhände griffen danach. Es war ein durchfettetes Butterbrotpapier – der letzte Gruß todesmutiger Männer.
    Vom späten Nachmittag an senkte sich die bleierne Stille gespannter Erwartung auf unsere kleine Stadt. Wo mochte unser Ballon gelandet sein? In der Redaktion vom ›Landboten‹ schrillte oft das Telefon – aber dort wußten sie selber nichts. Die törichtsten Gerüchte gingen um. Die ›Altenburg‹ sei kerzengerade immer höher gestiegen, bis sie am Rande der Luftzone explodiert sei, tuschelten alte Damen beiderlei Geschlechts. Aber dann hätte ja schließlich etwas von den Instrumenten oder von den vier Herren herunterfallen müssen …
    Gegen acht Uhr abends klingelte es an unserer Wohnungstür.
    »Vielleicht eine Nachricht vom Ballon«, sagte hoffnungsvoll Onkel Bense, der bei uns Abendbrot aß, weil er es vor Aufregung daheim nicht mehr aushielt.
    Draußen stand der Städtische Trichinenbeschauer Tiches, Brunos Vater. Er war sehr aufgeregt und fragte mich, ob ich etwas von seinem Sohn wüßte. Der sei seit heute vormittag verschwunden.
    Da fiel mir ein, daß Bruno gestern abend auf dem Marktplatz geheimnisvoll verkündet hatte, wir würden uns wundern. Ich sagte es Herrn Tiches.
    »Na, der soll sich auch wundern!« antwortete der Trichinenbeschauer drohend.

Blinder Passagier
    Für den geplanten Tatsachenbericht über Bruno Tiches' Leben werde ich wohl als erstes seine Aufzeichnungen über den Luftballonflug im Wortlaut auswählen – wobei ich allerdings immer betonen muß, daß ich spätere Retuschen und Überarbeitungen für möglich halte, ja, in einzelnen Fällen sogar nachweisen kann. Auch möchte ich die Notizen weitgehend der gebräuchlichen Orthographie anpassen.
    Es heißt da unter dem Datum des 18. Oktober folgendermaßen:
    Ich hielt mich unter meinen Decken erst ganz stille. Da konnte ich auch hören, was die andern sagten. Sie waren alle ein bißchen ängstlich, weil wir immerzu stiegen. Herr Kienzel meinte, wir hätten vielleicht ein bißchen zu wenig Ballast an Bord, und der Kleine von der Zeitung jammerte, daß er nichts schreiben könnte über das festliche Deutschland, weil wir zu hoch drüber waren, und da könnte man nicht mehr sehen, ob es festlich wäre. Ich wollte aber trotzdem was sehen und dachte auch, rausschmeißen können sie mich nicht mehr, wo wir so hoch sind, und hab' mich rausgewickelt aus dem Deckenkram.
    Das gab eine Aufregung! Herr Rockezoll trillerte auf seinem Pfeifchen und schrie: ›Blinder Passagier! Gehen Sie von Bord!‹
    ›Gehen ist gut‹, sagte ich, ›machen Sie mir das erst mal vor.‹
    Da prustete der große schwarze Mann aus Berlin furchtbar komisch durch die Nase. Am meisten regte sich Herr Kienzel auf und meinte, nun hätte der Ballon Überbelastung, und wir würden gleich runtersausen, oder der Korb könnte abreißen. Da sagte wieder der Herr aus Berlin, der Korb sei schließlich genauso schwer, ob ich nun unter den Decken läge oder drüber.
    Am wenigsten konnte sich Herr Rockezoll beruhigen. Er redete immerzu von Kostenausfall und Gasmehrverbrauch und statischen Gewichtsverlagerungen, bis der Berliner Herr sagte, er würde in Gottes Namen die Kosten für mich übernehmen und auch für die Hotelkosten in unserem Landungsort und für meine Rückreise aufkommen. Damit hoffe er, daß sowohl der Ballon wie Herr Rockezoll selbst statisch wieder ins Gleichgewicht kämen.
    Da gab der Ballonführer endlich Ruhe, aber er hat auf dem ganzen Flug kein Wort mehr mit mir geredet. Dafür fragte mich der kleine Pressefritze um so mehr aus, weil er einen Extrabericht über den blinden Passagier schreiben wollte. Und da hat sich wieder Herr Kienzel sehr unanständig benommen, obwohl er doch Reserveoffizier ist. Er quatschte dazwischen, daß ich der Klassenletzte bin. Da sagte ich, sein Junge wäre auch kein Kirchenlicht und säße bloß zwei Plätze über mir, und er hätte sogar eine Wette gegen mich verloren. Von da an redete auch Herr Kienzel kein Wort mehr mit mir.
    Mir war das Wurscht. Ich guckte über den Korbrand runter, und da war die Welt ganz

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