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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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läuteten nur noch turnusmäßig zu Gottesdienst und Grabgesang, und Pechfackeln wurden nicht mehr gebraucht, seit das Kriegsglück sich gewendet hatte. Die Ausmaße der Einberufungen nahmen solche Formen an, daß Gorgo nunmehr auch Religion und Chemie mit unterrichten mußte, was ihm schwerfiel, weil es an gereimten Sprüchlein für Propheten und Schwefelsäureverbindungen fehlte. Der älteste Meisegeier kam als Kriegsfreiwilliger ins Feld, der zweitjüngste starb an der Grippe. Der diensttuende Meisegeier verlangte für seinen Störungsdienst am Klassenfenster fünfzehn Pfennig Frontzuschlag.
    Es ging auf den Kriegsabend zu, dem eine lange, dunkle Nacht folgen sollte. Das ganze Leben wurde feldgrau. Sogar die Lebensmittel wurden es, insonderheit die Kohlrübensuppen. Aus unbegreiflichen Gründen gab es nicht genug Heu mehr für die Pferde, und das mochte irgendwie mit den Kriegstabaken und dem Trockengemüse zusammenhängen. Daher mußten wir Schüler ›Laubheu‹ sammeln. Mit großen, zerschlissenen Säcken, die auch schon Mangelware wurden, zogen wir in den Buchenhain vor der Stadt und zupften Blätter von den Zweigen der Bäume, bis sie armselig winterkahl dastanden. Gorgo, der jetzt unser Klassenlehrer war, tat aus pädagogischen Gründen mit. Er streifte sich die freischwebenden Manschetten, die Röllchen, von den Armen und hängte sie behutsam an einen entblätterten Ast. Dann zupfte er hier ein Blättchen, dort ein Blättchen und tat es in den Sack eines bevorzugten Schülers. Der ›Borsche‹ Tiches ging bei ihm leer aus.
    Dafür kam Bruno auf einen Dreh, dem tristen Kriegsabend noch einmal goldenen Glanz zu geben. Er las in den Zeitungen bewegliche Aufrufe, das Gold dem Vaterland zur Verfügung zu stellen, ein Appell, dem nur zögernd Folge geleistet wurde. Mein Vater trug zwar auch seine Uhrkette zur Sammelstelle und bekam dafür eine häßliche schwarze Kette mit der Aufschrift ›Gold gab ich für Eisen‹, aber sie hatten dort gar nicht bemerkt, daß die abgegebene Kette bloß vergoldet gewesen war. (Wahrscheinlich war auch das Eisen nicht echt.)
    Eines Tages sagte Bruno zu mir:
    »Das ist doch alles Quatsch mit den Aufrufen und so! Den Bauern muß man auf die Bude rücken. Die haben die Strümpfe noch voll mit goldenen Zehn- und Zwanzigmarkstücken. Wenn ich dafür schulfrei kriege, hol' ich bei denen allerhand raus.«
    Da bei Gorgo kein Verständnis für eine solche bildungsmindernde vaterländische Tat zu erwarten war, ging er einfach zum ›Direx‹. Das war ein munterer kleiner Herr mit einem Spitzbäuchlein, ein tüchtiger Altphilologe, erfüllt von einem ehernen antiken Patriotismus und durchaus bereit, als Leónidas seinen Schulhof und das untergehende Kaiserreich bis zum letzten Sextaner zu verteidigen.
    »Wacker! Wacker!« rief der Direx, als Bruno ihm seinen Goldsammelplan unterbreitete, und versprach den Schülern, welche sich diesem vaterländischen Ehrendienst zu widmen gedachten, ausgiebige Befreiung vom Unterricht sowie für jeweils 480 in Goldstücken gesammelte Reichsmark eine wertvolle Buchprämie. (480 v. Chr. – Schlacht bei den Thermopylen.)
    »Das Buch kann er sich an den Hut stecken!« sagte Bruno nachher zu mir.
    Am ersten Sammeltag nahm mich Tiches mit. Da es sehr heiß war, gingen wir nur in einige stadtnahe Dörfer im Tal. Die Ausbeute blieb kläglich. In die meisten Höfe ließ man uns überhaupt nicht mehr hinein, weil diese Orte an der Bahnstrecke täglich von Menschenscharen aus den Industriegebieten, den sogenannten ›Hamsterern‹ überflutet wurden, die zwar nicht Eisen gegen Gold, aber Strümpfe und Leinenwäsche gegen Eier und Kartoffeln eintauschten.
    Seit aber, wie es in grober Übertreibung hieß, Perserteppiche in ihren Kuhställen lagen und Bechsteinflügel das Dreschgeschäft auf der Tenne erschwerten, nahm das Interesse der Bauern an den Tauschaktionen ab, und sie blieben auf ihren Eiern sitzen. Erst recht auf ihrem Gold. Wir brachten am ersten Abend zwei Goldstücke im Nennwert von dreißig Reichsmark nach Hause, kein Grund, unsern alten Direx zu bacchantischen Tänzen des Entzückens zu veranlassen.
    »Vielleicht«, meinte ich, »hätten wir in die abgelegenen Walddörfer gehen müssen oder in die Bergdörfer im Süden.«
    »Das auch! Aber wir hätten uns vor allem an die Weiber halten sollen!« sagte Bruno Tiches, der zu dieser Zeit bereits eine tiefe Stimme, Pickel auf der Stirn und einen schwärzlichen Schatten unter der Nase bekam.
    Von den sehr

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