Wir zwei allein
Sankt Georgen in einem von Feldern umgrenzten Wald, ein kleines Stück Schweden aus Holz und Glas. Wir sitzen uns gegenüber. Die Holzbank knackt, als ich mich auf dem Handtuch bewege. Schweiß brennt mir in den Augen. Der alte Mann, der über Theres sitzt, seufzt kommunikativ, aber niemand seufzt zurück. Mein Kinn flutscht auf der Brust, ich starre auf das Holzgitter auf dem Boden. Theres’ Zehen biegen sich nach oben. Ihre Füße sind schmal und klein. Ihre Waden sind blass. Ich stelle mir vor, dass die Haut dort ganz weich ist, dass sie schwach nach Seife riecht und nach Theres. Aber es muss ein anderer Geruch sein als an ihrem Hals. Nach feinem Sand vielleicht, der monatelang der Sonne ausgesetzt war. Mein Blick wandert hinauf zu ihrem Knie, dann schnell hinauf zur Decke. Durch das Fenster auf ein Rasenstück hinaus. Auf die heißen Steine in der Ecke. Eine dicke Frau stemmt sich hoch, ihr Handtuch schwingt an mir vorbei, der Windhauch kühlt mein Gesicht. In dem Moment sehe ich Theres. Ihre Haare liegen eng am Kopf an. Auf der Stirn hat sie Wasserperlen. Ihre Wangen sind rot, sie lächelt müde, aber glücklich.
Stell dir vor, sagt sie. Ich habe zwei grün-rot gestreifte Wollsocken. Seit einem Jahr sind sie getrennt. Immer liegt mindestens ein Waschgang zwischen ihnen. Und gestern hole ich beide aus der Maschine. Verrückt, oder? Wie alles wieder zusammenfindet?
Aber Theres, sage ich. Das ist doch immer so im Leben. Dass alles zusammenfindet, was zusammengehört.
Das stimmt. Zum Beispiel Stefano und ich. Wir haben uns monatelang nicht gesehen. Alte Freundschaften sind was Schönes.
Aber es geht doch immer weiter, sage ich. Und man lernt neue Menschen kennen.
Das stimmt auch wieder, sagt sie.
Später sind wir im Außenbecken.
Du musst dich flach machen und alle Luft auspressen!, ruft sie und ist schon abgetaucht. Ich tauche hinterher, höre die Bläschen aus meinem Mund aufsteigen. Ich bin eine Leiche, ich bin ein Ding auf seinem Weg zum Grund. Theres’ Schenkel in dem Licht des Strahlers merkwürdig verzerrt und blass. Ich schließe die Augen. Im Duschraum stehe ich direkt neben ihr, sie reicht mir nur bis zur Schulter. In meinem Augenwinkel hebt sie die Arme, krault sich den Kopf, dreht sich um die eigene Achse. Ich drücke auf den Knopf, damit die Hitze nicht aussetzt. Theres verschwimmt hinter dem Wasserfall.
20 Ein Irokese kennt den Fluss, an dem er geboren wurde. Er kennt die Silhouette jedes Bergs, im Winter wie im Sommer. Er kennt den Geruch der Wiesen, er kennt die Sterne, er weiß, wann sie wo am Himmel stehen. Manchmal besteigt er einen Gipfel und blickt über das Land in die Ferne. Aber er entfernt sich nie zu weit von seinem Stamm. Die Tage wandern über die Wipfel der Bäume, die er schon als Pflänzchen kannte. Sie ziehen an ihm vorbei, und er altert. Und ganz am Ende deckt er sich mit der Erde seiner Väter zu und schläft ein und findet sein ewiges Zuhause, genau dort, wo er hergekommen war. Ein Irokese bleibt seinem Tal treu. Bis in den Tod und darüber hinaus.
21 Noch in derselben Nacht trommelt der Regen gegen mein Fenster. Ich mixe mir in mein Wasserglas die Lichter, die sich in der Scheibe spiegeln. Ich mache drei Tanzschritte durch den Raum, schließe die Augen. Die Dielen knarzen, Theres ist meine Tanzpartnerin. Ich werfe mich in den Sessel und starre die Yucca-Palme an. Zwei Lebewesen im Raum, nicht eins. Aber das täuscht. Die Heizungsrohre beginnen zu knacken. In meinem Glas klimpert das Eis.
Fünf Minuten später eile ich schon über Pfützen, die Guntramstraße entlang an Autos vorbei, über den Eschholzpark. Ich klingle. Es dauert eine Ewigkeit, bis es summt. Mit zwei Schritten bin ich an der Treppe.
Wer ist da?, höre ich sie von oben rufen.
Ich bin es, rufe ich hinauf. Und bin schon auf der nächsten Etage und an ihrer Tür.
Ihr erschrockenes Gesicht. Du?
Als wir in der Küche stehen, kann ich aus einem der hinteren Räume den Fernseher hören.
Theres, sage ich. Da bemerke ich die Pfütze unter mir. Ich mache einen Schritt zur Seite und sehe auf den Dielen zwei Matschabdrücke. Das tut mir leid.
Theres lacht. Ach du, sagt sie.
Sie kommt an mich heran und nimmt mir die Jacke ab. Ich halte die Luft an. Der Geruch von Shampoo. Sie hält inne, wir stehen einfach da. Zwei Planeten, durch einen kosmischen Zufall in Okklusion gekommen. Ich schließe die Augen. Ich spüre, wie ich plötzlich von der Gravitation erfasst werde, wie ich auf Theres zufalle. Im
Weitere Kostenlose Bücher