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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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Ufer des Opfinger Sees. Der Wind rauscht in den Kronen der Kiefern, die sich knarrend vor- und zurückbeugen. Der See bleiern und gekräuselt wie außerirdische Intelligenz. Theres klettert über das Förderband auf den Bock eines grünen Kiesbaggers. Ich rauche eine Zigarette, schaue ihr zu, wie sie zur Autobahn hinüberblickt, in sich zusammengekauert. Ihre Haare fliehen nach Süden, in Richtung Schweiz, Italien, Mittelmeer.
    Ein schöner Tag, sagt sie, als wir wieder am Sprinter stehen.
    Es ist schon dunkel, als ich vor ihrer Haustür parke und wir aussteigen. Theres’ Finger kratzen am Stein neben der Klingel. Sie steht eine Treppenstufe über mir, und das reicht aus, damit wir gleich groß sind.
    Du musst mir das Zigarettendrehen beibringen, sagt sie.
    Warum?, frage ich.
    Wenn du rauchst, sollte ich auch ab und zu rauchen.
    Wie meinst du das, Theres?
    Sie lacht.
    Ein Witz, sagt sie. Bis bald. Sie küsst mich. Sie hält sich an mir fest. Sie kommt ganz nah an mich heran und sagt: Wirklich. Nur ein Witz.
    Und dann ist sie schon in den Hauseingang geschlüpft und die Tür fällt hinter ihr ins Schloss.

    2    In den Sonnenstrahlen über dem Parkett tanzt Staub. Die Luft bietet Samstagsideen an, das Gebrumm eines Flugzeugs von irgendwo. Theres. Wir sind füreinander geschaffen. Geschliffen. Verschifft. Auf meinem Fensterbrett werde ich demnächst ganze Kaffeekränzchen abhalten. Teil des Lebens in der Straße sein, wie die Kinder von der Aushilfskellnerin in den Kreidequadraten, der Besitzer des Kopiergeschäfts bei einer Zigarettenpause. Ich werde ein Gespräch beginnen mit den Dächern der Stadt. Es ist unsere Stadt, Theres. Stell dir das vor, wir haben eine Stadt. Sie gehört zu uns wie ein treuer Hund. Wartet auf uns, wenn wir auf Reisen gehen. Liegt zu unseren Füßen, wenn wir abends in den Sesseln sitzen. Wir haben nicht viel, aber wir haben uns. Wir sind zwei Alleen in einer Zukunftsmetropole, wir laufen auf ein gemeinsames Zentrum zu. Wir sind die Donau: ruhig, stark, klug. Wir werden einen Impuls geben zur Vollendung aller Kunst. Wir sind eine kampffreie Zone, wir sind Frontbriefe von zu Hause. Wir produzieren die Wärme einer großen menschlichen Maschine. Wir sind die Größte aller Möglichkeiten, Theres. Ich werde uns die Buchstaben neu zusammenbauen. Ich werde uns eine eigene Sprache machen. Wir gründen unser eigenes Land, und verweigern alle Beitrittsverhandlungen. Du nähst uns eine Fahne. Ich komponiere unsere nationale Musik. Den Text entleihen wir Gedichten, die es in unserer Sprache bis dahin sicher gibt.

    3    Die flache Hand von Niko auf der Tischplatte. Uli, der in den Raum lächelt. Das Oktoberrussland ist auch kein Zuckerschlecken gewesen, sagt Niko.
    Ich lade euch ein, sage ich. Bestellt, was ihr wollt.
    Ist nicht dein Ernst, sagt Uli.
    Warum?, rufe ich. Warum kann man so was nicht mal ernst meinen? Soll man sein Geld zwischen die Backsteine stopfen? Ein Eigenheim aus Papier zusammenspeicheln?
    Das hält im Winter warm, sagt Niko.
    Aber jetzt ist es Frühling, sage ich.
    Noch lange nicht.
    Aber bald.
    Ich nehme einen Pernod, sagt Uli. Bei mir sind zurzeit französische Wochen. Gauloises blondes. Liberté toujours.
    Niko nimmt ein Gläschen Zuckersatz, aus der schlanken, braunen Flasche, die Rudi hinter dem Fernseher versteckt. Wir stoßen auf den Moment an.
    Der nur allzu flüchtig ist, sagt Niko.

    4    Über Nacht hat es geschneit. Wie still die Autos sich über die Kreuzungen tasten. Wie angenehm die Luft beißt, wie schön es nach Rauch riecht. Ich hole Theres in der Mittagspause vom Laden ab. Lass uns nachsehen, was die Indianer machen, sage ich.
    Zehn Minuten später sind wir auf der B3. Der Schwarzwald um uns weiß gepudert. Im Radio reden zwei Franzosen, dann kommt wirre Jazz-Musik. Ich halte, steige aus, stemme die Schranke hoch. Auf dem Weg ins Tal knirscht der Schnee unter den Reifen.
    Wie diese Gegend wohl entstanden ist, sagt Theres mit dem Kopf an der Fensterscheibe.
    Vor vielen tausend Jahren war hier überall nur Wald, sage ich. In der Ebene gab es Mammuts und in den Bergen Bären und Säbelzahntiger. Es gab große Flüsse und Malariamücken, und der Kaiserstuhl hat regelmäßig Feuer gespuckt. Der ganze Oberrheingraben ist voller Vulkane gewesen, Theres, stell dir das vor. Überall Feuerbälle, die in den Himmel explodieren. Und die Menschen haben im Wald gelebt.
    Und hier?, fragt Theres.
    Farnbäume, Bärlapp, gigantische Schachtelhalme, oberschenkelgroße

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