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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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Es muss ein kleiner Ritter hier gewohnt haben, die Zahnstümpfe, die aus der Erde ragen, bilden in ihrer Gesamtheit einen kleinen Mund. In einer Ecke des ehemaligen Burghofs hat sich eine Kastanie eingenistet.
    Die erste sichere Erwähnung der Burg Zähringen stammt aus dem Jahr 1128 , als eine Urkunde im Rotulus Sanpetrinus apud castrum Zaringen ausgestellt wurde, lese ich laut, dann zieht Theres mich die Treppe hoch.
    Auf dem Turm der Blick über die Wipfel.
    Man könnte eigentlich für immer hier im Süden bleiben, sagt Theres, während sie sich den Schal enger um den Hals bindet. Hier vergisst man schnell, dass man aus irgendeiner anderen Stadt kommt.
    Sie steigt auf die Steinmauer und balanciert ein paar Schritte. Dann springt sie wieder herunter und stellt sich ganz nah an mich. Umarmt mich und küsst mich auf den Hals. Auf den Mund. Auf die Wange. Auf den Hals.
    Theres, sage ich.
    Entschuldigung, sagt sie und tritt einen Schritt zurück. Entschuldigung. Sie lacht.

    8    Am Abend trinken wir Tee in meiner Küche. Der Dampf steigt aus den Tassen zur Lampe hinauf. Im Küchenfenster eine zweite Küche und wir beide verdoppelt.
    Warst du schon mal in den Alpen?, fragt sie. Es ist dort sehr still, und nachts gibt es sehr viele Sterne. Es ist beinahe unglaubwürdig. Allerdings gibt es tagsüber zu viele Leute mit Kindern. Und diese Senioren mit ihren kleinen Wanderrucksäcken und ihren Skistöcken und den hochgekrempelten Hosenbeinen.
    Sie steht auf und tritt an mich heran. Sie beugt sich zu mir runter und umarmt mich.
    Später duschen wir zusammen, danach schwimmt der Teppich in Wasser. Sie hat einen Kulturbeutel dabei, sie holt eine Casio-Uhr heraus, putzt sich die Zähne, bis die Uhr piept. Ich sitze auf dem Wannenrand, sie beobachtet mich im Spiegel, ihr Gesicht verdreht, sie lächelt.
    Noch nicht fertig, sagt sie und hat ein Stück Zahnseide aus dem Beutel geholt, reckt ihren Kopf in alle Winkel, die Zahnseide glänzt, ich blicke weg. Auf ihren Slip, auf die Anzeige der Waschmaschine, auf das schmatzend ablaufende Wasser in der Wanne. Ich stehe auf und gehe zur Tür, sie hält meinen Arm fest. Geh nicht weg, sagt sie.
    Ich setze mich zurück auf den Wannenrand und spüre ihren Blick im Spiegel, lächle ihr zu, betrachte ihre Füße. Die kleinen Zehen sind merkwürdig zusammengestaucht, das fällt mir erst jetzt auf. Die Nägel sind verschwindend klein. Ihre Waden bedecken dunkle Stoppeln.
    Mir ist noch etwas eingefallen, sage ich und bin schon an der Tür und im Gang.
    Bis gleich!, ruft Theres mir hinterher.
    Ich lasse Wasser und Spülmittel ins Spülbecken laufen, lege die Teller, Tassen und die Pfanne hinein, die Schaumblasen platzen leise. Ich gehe ins Schlafzimmer, ziehe meinen Pullover aus. Setze mich auf den Bettrand. Ich höre sie etwas summen.

    9    Ein grauer Schein fällt auf den Boden. Im ersten Moment ist alles wie immer. Der Stuhl, über dem meine Cordhose hängt. Eine Schranktür steht offen. Aus den Wänden kommt das leise Gurgeln des Hauses. Ich versuche mich auf die Seite zu drehen. Theres’ Kopf auf meiner Brust. Ihre Haare in meiner Nase und meinem Mund. Ich versuche zu atmen. Sie rührt sich, flüstert etwas. Ihre Hand rutscht über meinen Bauch, ihr Arm ist unter meinem T-Shirt. Ich strample mit den Füßen und befreie sie aus dem Laken. Die Decke verrutscht, Kühle steigt mein Bein herauf, erst da merke ich, dass ich schwitze. Theres fühlt sich an wie eine Heizung. Ich versuche wieder, mich umzudrehen. Sie stöhnt, wird noch schwerer. Der Geruch nach Erdbeeren und Salz. Geschlechtsverkehr. Meiner oder ihrer? Ich schließe die Augen. Ich kann nicht atmen. Jetzt ins Wohnzimmer gehen und im Sessel weiterschlafen. Ich bin Dschingis Khan. Mitten in einem Gemetzel wate ich durch Fluten von Angreifern. Ich schwinge meinen Säbel nach links und nach rechts, und er gleitet durch Fleisch und zerfetzt Sehnen. Ich werde von einer Lanze durchstoßen. Ich stampfe weiter, fege alles hinfort, was sich mir in den Weg stellt. Ich werde von einem Pfeil zur Seite gerissen. Ich stemme mich wieder hoch. Ich merke, dass ich schreie. Knochen brechen zu meiner Linken und zu meiner Rechten. Ein herzzerreißendes Geheul von Männern ohne Arm, ohne Bein. Die Nacht bricht mit einem Schlag ein. Feuer erstrahlen auf den Hügeln. Mein Darm quillt mir in eine Hand, ich schiebe ihn zurück. Ich bin schon auf den Knien. Aber ich hole immer noch aus. Mit letzter Kraft krieche ich an einen Bach, der leise

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