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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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Libellen.
    Stimmt das auch?
    Klar.
    Das Radio verstummt, wir steigen aus. Der Schnee pulvert fein von den Zweigen in mein Gesicht, als ich Theres ins Unterholz folge. Am Abhang halten wir an. Das Tipi ist immer noch da, unter uns, zwischen den Zweigen. Aus der Spitze steigt ein Rauchfaden in den Himmel.
    Ich glaube inzwischen, das sind Mormonen, sagt Theres.
    Es sind Irokesen, sage ich.
    Sie schaut mich an. Schüttelt lächelnd den Kopf. Ein schöner Tag, sagt sie. Sie hält sich an einem Ast fest. Sie streckt die Hand nach mir aus, zieht mich zu sich heran. Wir küssen uns. Das soll nie aufhören, sagt sie.
    Aber Theres, sage ich.
    Versprich es, sagt sie.
    Wir küssen uns.

    5    In der Nacht an meinem Küchentisch. Ich mache eine Liste. Ich werde für Theres einen roten Sessel kaufen. Mir einen Bart wachsen lassen. Mein Badezimmer streichen. Mit dem Rauchen aufhören. Einmal täglich eine warme Mahlzeit einnehmen. Anfangen, mir Nikos Russland-Geschichten zu merken.

    6    Ecki hat mir angeboten, auf lange Sicht die Geschäftsführung zu übernehmen. Du müsstest die Bücher machen. Du müsstest mit den Bauern die Preise verhandeln. Du müsstest für Werbung und Akquise sorgen. Spätestens im nächsten Herbst will ich mich nur noch um die Häuser in Kroatien kümmern. Du willst doch bestimmt auch mal was Anspruchsvolleres machen, oder? Überleg’s dir und sag mir Bescheid.
    Ich fahre nach Kirchzarten rein, der Himmel ist blau. Ich versuche es mir zu überlegen. Ich sehe mein Gesicht im Rückspiegel, das in letzter Zeit ein bisschen eingefallen ist. Ich schiebe der Wirtin vom Rössle die fünf Kisten mit einer Sackkarre in den Gemüsekeller. Möchten Sie einen Teller Maronensuppe? Oder einen Kaffee? Ich setze mich mit einem Kaffee an einen Tisch am Fenster, die Stühle stehen kopf. Sie sitzt mir gegenüber, greift in den scheppernden Besteckberg hinein.
    Später fahre ich durch Himmelreich, die Heizung rattert. Der Metallhirsch auf dem Felsgipfel über mir, der an die Jagd des Ritters von der Burg Falkenstein erinnert, streckt sein Geweih über das Land, dann bin ich durch die Klamm hindurch, die Serpentinen fangen an. Unter mir die Ravenna-Schlucht, die Zuggleise, Himmelreich im Tal. Über mir der Schwarzwald, in dem die Ängste der Bauern wohnen. Rote Fliegenpilze, der Atem der braunen Nadeln, die angestaute Stille zwischen den dichtstehenden Tannen. Und ich auf dem vibrierenden Sitz, unter mir das Wuchten des linken Vorderrads.
    Ich parke kurz vor Hinterzarten und steige aus, blicke über das Labyrinth aus Tälern. Das Land ist in eine weiße Decke gehüllt. So weit oben zu sein. Man braucht sonst nichts. Am Nachmittag halte ich in Münstertal und rufe Ecki an. Ich sage, dass ich schon darüber nachgedacht habe.
    Kein Problem, sagt Ecki. Ich suche jemand anderen.

    7    Die Haarfäden an Theres’ Wollpullover enden in Eisperlen. Ihre Wangen sind rot. Der Schluchsee liegt still und weiß vor uns. Sie rennt ein paar Schritte und rutscht. Das Eis macht ein Stahlkabel-Geräusch, dann ist es wieder still, wie vor Jahrmilliarden. Das Brennen in meinem Gesicht. Die kalte Luft in meiner Lunge. Ich schlittere ihr bis zum Ufer nach. Sie fällt mit dem Rücken gegen die Böschung, ich werfe mich neben sie. Der Schnee in meiner Unterhose. Das Knirschen, als wir uns küssen.
    Später steigen wir hinauf zur Burg Zähringen auf dem Rosskopf. Ich habe den Sprinter beim Hotel Zähringer Burg geparkt. Tief unter uns die Rheinebene, flach und merkwürdig gekippt. Das Land macht zum Schwarzwald hin Wellen. Die Ortschaften wie von Kinderhand verstreut. Im Süden die Dächer der Stadt, von denen Rauchsäulen aufsteigen. Der Münsterturm unwirklich groß vor dem Schlossberg. Die Hochhäuser von Haslach.
    Der Bildhauer wollte sogar mit mir zusammenziehen, sagt Theres. Und dann erzählt er mir, dass er eine zweite Wohnung und eine zweite Freundin in Berlin hat. Verrückt, oder? Ich habe aufgehört, irgendwen anzurufen. Ich wollte lieber mit niemandem reden. In so einer Situation kann man nämlich gar nicht das Richtige sagen, die Wörter verändern sich im Mund. Man will sagen, dass alles blöd ist, aber alle hören nur Wörter wie Musik, Möbel, Maultrommel. Eigentlich war ich froh. Der Bildhauer hatte schon begonnen, mir an den Radiosendern herumzudrehen und meine Regale umzustellen. Ich frage mich, ob er das bei seiner Freundin in Berlin auch so gemacht hat.
    Die Mauern der Burg stehen plötzlich vor uns. Über uns der Turm.

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