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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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unteilbare Ganze. Das Atom in einer Welt aus Molekülen. Wir sind uns Weltall und Körperzelle zugleich. Wir sind das Auftreten von etwas. Wir sind der kleine Unterschied. Wir sind ein Hauch in einer Welt ohne Sauerstoff. Wir sind zwei Variablen, die sich aufeinander beziehen. Mathematisch aneinandergekoppelt sind.

    12    Mutter wohnt in einem niedrigen Hochhaus in Sankt Georgen, in einem Aufgang mit einer türkischen Familie, einem Studentenpärchen und einem Maurer, der gelegentlich einen Schwips mit nach Hause bringt. Ihr roter Fiesta steht am Häuschen mit den Mülltonnen vor dem Edeka, ich parke daneben. Kurz darauf sitze ich bei ihr am Küchentisch. Sie hat für mich Riegeler Landbier gekauft. Aus dem Wohnzimmer tuschelt der Fernseher herüber, es riecht nach Wintertee. Die Arbeitsflächen und die Spüle strahlen, neben dem Kühlschrank ein Korb mit vier leeren Weinflaschen, die bestimmt ausgespült sind. An der Wand hinter Mutter Fotos von den behinderten Kindern, die sie an der Hermann-Mitsch-Schule betreut. Wir haben Sie gern, Frau Benz.
    Ich habe vorgestern ein Rendezvous gehabt, sagt Mutter. Sie lacht, und es ist ein wirklich mädchenhaftes Lachen. Der Mann ist Chirurg an der Universitätsklinik, sagt sie. Er ist mit einem grünen Jaguar vorgefahren und hat den ganzen Abend über irgendwelche Projekte in Tansania geredet und wie wichtig er es findet, dass wir Europäer helfen.
    Aber das findest du doch auch, sage ich. Hast du ihm denn nichts von deinen Filmabenden erzählt? Oder von deinen Sonntagen im Altenheim?
    Er hat mich gar nicht zu Wort kommen lassen, sagt sie und tätschelt meinen Arm. Ich hoffe, du suchst dir mal eine kluge Freundin und nimmst sie ernst als Mensch und bist nett zu ihr. Er hat mich hier vor der Haustür in seinem Jaguar gefragt, ob ich am Samstag in sein Haus in den Vogesen kommen möchte. Mit Sauna und Kamin und so etwas. Geschieden, drei Kinder. Kannst du dir das vorstellen? Möchtest du noch ein Bier? Ich habe Kürbissuppe, mit Kokosmilch und Ingwer.

    13    Am nächsten Morgen ist der Himmel blau, die Sonne brennt durch die Scheibe des Sprinters. Jedes Jahr erleben wir das hier, und niemand merkt, dass etwas nicht stimmt. Der Februar schaut kurz weg, und sofort riecht die Luft nach Blumenladen. Der Schnee ist verschwunden, die Kohlmeisen hüpfen über die Gehsteige, die Flügel auf die Rücken gespannt, als wären sie aus der Nervenklinik ausgebrochen.
    Am Ortseingang von Gottenheim überhole ich eine Gruppe Rennradfahrer. Vor dem Adler Leute an Metalltischchen. Der alte Wächtle verteilt Narzissen, winkt mir zu, strahlt übers ganze Gesicht. Die Tonne im Hinterhof umkreisen Fliegen. Die Frau vom Wächtle sitzt an einem Tisch und schält zwischen ihren Beinen Kartoffeln.
    Du hast es gut, sagt der alte Wächtle zu mir, während er den Schein unterschreibt. Dass du an so einem Tag übers Land fahren kannst.
    Wenn nur die Kopfschmerzen nicht wären, denke ich. Dass hier das Klima auf den Kopf drückt, dass sich alles umstülpt, dass das Mikroökosystem dieser Stadt bei der ersten Wärme zu einer Dunstglocke wird, davon spricht niemand, wenn er vom sonnenverwöhnten Breisgau schwärmt. Das ist der Atem des Schwarzwalds, der unter dieser Sonne aufsteigt und in die Köpfe dringt.
    In der Stadt Hunderte von Menschen. Ich halte am Martinstor und schalte den Warnblinker ein. An der Kreuzung, an der Nikos Kiosk steht, Kellnerinnen mit schulterfreien Oberteilen, Studenten. Vor den Geschäften Kleiderauslagen, Fahrradfahrer, Fahrradschieber, Fahrradabsperrer. Nur Nikos Kopf hinter den Zeitungen und Magazinen. Er trägt eine Sonnenbrille, die Zigarettenschachteln stapeln sich im Regal über ihm, seine nackten Knie berühren fast sein Kinn. Ich frage mich immer, wie er sich am Morgen in diese Kabine reinzwängt und am Abend wieder aus ihr rauskommt.
    Ein anderes Wort für Einsiedler, sagt er. Sechs Buchstaben.
    Eremit, sage ich.
    Sein Mund bewegt sich, er nickt, notiert. Dann legt er die Zeitung weg und schiebt sich die Brille in die Haare.
    Tabak?
    Ich nicke, er dreht sich um, greift hinauf und wirft mir ein gelbes Päckchen auf die Zeitungen.
    Vielleicht noch ein Bierchen?
    Eine Cola, sage ich.
    Aber zur Feier des Tages?, sagt er.
    Erst jetzt sehe ich, dass er passend zu seiner kurzen Hose blaue Badeschlappen mit einem weißen Streifen trägt.
    Der Februar gaukelt uns was vor, Niko.
    Quatsch, sagt er. Das bleibt jetzt so. Schau mal da drüben, die Apotheke. Jeden Tag kauft die

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