Wirbelsturm
finsterem Gesicht, setzte sich ihr gegenüber, sah sie aber nicht an. Der Kaffee war heiß und ausgezeichnet, vermochte aber nicht, den schalen Geschmack in seinem Mund zu beseitigen, und er nippte nur an ihm und stand auf, um seine Jacke zu holen. Gott sei Dank habe ich heute den Überführungsflug nach Kowiss, dachte er.
»Wann sehe ich dich, Liebster? Wann kommst du zurück?«
Er sah sich mit den Achseln zucken, verabscheute sich und hätte sie in die Arme nehmen und ihr seine Liebe gestehen wollen – nur daß er diese Qual in den letzten zwei Tagen schon viermal durchgemacht hatte. Sie war immer noch so unzugänglich und unbeugsam wie ihr Bruder. »Den Iran verlassen? Die Heimat für immer verlassen? Oh, das kann ich nicht!«
»Aber es wäre doch nicht für immer, Scharazad. Wir verbringen einige Zeit in Al Schargas, fliegen dann nach England. England wird dir gut gefallen, und Schottland und Aberd…«
»Aber Meschang sagt …«
»Zum Teufel mit Meschang!« hatte er geschrieen und die Angst in ihrem Gesicht gesehen, eine Angst, die ihn zur Raserei brachte. »Meschang ist nicht der liebe Gott, verdammt noch mal!«
Schluchzend wie ein kleines Kind hatte sie sich von ihm abgewandt. »O Gott, es tut mir leid …« Reumütig hatte er sie in die Arme genommen.
»Hör doch, Tommy, Liebling, du hattest recht und ich unrecht, es war mein Fehler, aber jetzt weiß ich, was zu tun ist. Morgen gehe ich zu Meschang und werde ihn dazu überreden, uns einen monatlichen Betrag auszusetzen und … Was hast du denn?«
»Du hast überhaupt nicht zugehört.«
»O doch, sogar sehr aufmerksam. Bitte sei nicht wieder böse! Du hast natürlich recht, aber …«
»Hast du denn nicht gehört, was Meschang gesagt hat? Wir haben kein Geld – das Geld ist weg, das Haus ist weg, er allein verfügt über das Familienvermögen, und du bekommst überhaupt nichts mehr – außer du gehorchst ihm und nicht mir. Aber das spielt keine Rolle, ich kann genug verdienen. Es geht nur darum, daß wir Teheran verlassen müssen, für eine Weile.«
»Aber ich habe keine Papiere, Tommy, und ich kann auch keine bekommen, und Meschang hat recht, wenn er sagt, daß sie mich nie, nie, nie wieder zurückkehren lassen, wenn ich ohne Papiere das Land verlasse.«
Es gab noch mehr Tränen und noch mehr Rede und Gegenrede. Unmöglich, es ihr verständlich zu machen. »Du sagst, du kannst nicht hierbleiben, Tommy. Warum kannst du nicht hierbleiben?«
»Herrgott noch mal, Scharazad, das hat Meschang dir doch erklärt. Ich bin hier unerwünscht, alle Fremden fliegen raus. Wir müssen woandershin – Nigeria oder Aberdeen oder irgendwo anders. Pack deinen Koffer. Du fliegst mit dem Pendler, und wir treffen uns in Al Schargas. Du hast einen kanadischen Paß. Du bist Kanadierin.«
»Aber ich kann doch ohne Papiere nicht ausreisen!« jammerte sie und schluchzte. Immer wieder die gleichen Einwände, immer mehr Tränen. Und dann, gestern früh, hatte er doch tatsächlich seinen Stolz überwunden, war zu Meschang gegangen, um ihn umzustimmen – und war gegen eine Wand angelaufen. Und es war noch schlimmer gekommen.
»Mein Vater besaß eine maßgebliche Beteiligung an der IHC – die ich natürlich geerbt habe.«
»Das ist ja prima, Meschang! Dann sieht ja alles ganz anders aus!«
»Gar nichts sieht anders aus. Es geht doch immer noch darum, wie du ohne Appell an die sogenannte christliche Nächstenliebe deine Schulden bezahlen, für den Unterhalt deiner ersten Frau aufkommen und meine Schwester und ihr Kind erhalten willst!«
»Ein Job hat nichts mit Nächstenliebe zu tun, Meschang. Es könnte sogar für uns beide ein eminent einträgliches Geschäft sein. Ich spreche nicht von einer Partnerschaft oder etwas Ähnlichem. Ich würde für dich arbeiten. Du kennst das Hubschraubergeschäft nicht, ich kenne es in- und auswendig. Ich könnte die neue Gesellschaft für dich leiten. Ich kenne die Piloten und den ganzen Betrieb. Ich kenne den Iran und fast alle Ölfelder. Das würde die meisten Probleme lösen. Und ich würde wie ein Besessener arbeiten, um die Interessen der Familie wahrzunehmen, wir würden in Teheran bleiben, Scharazad könnte ihr Kind zur Welt bringen und …«
»Im islamischen Staat werden ausschließlich iranische Piloten beschäftigt werden, hat mir Minister Kia versichert, zu 100 Prozent.«
Plötzlich verstand er, und seine Welt fiel in Stücke. »Ah, jetzt kapiere ich. Keine Ausnahme, nicht wahr? Vor allem nicht ich.«
Meschang
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