Wirbelsturm
hatte verächtlich die Schultern gehoben. »Ich habe zu tun. Um es ganz offen zu sagen: Du kannst nicht im Iran bleiben. Du hast im Iran keine Zukunft. Außerhalb des Irans und mit dir hat Scharazad keine Zukunft. Sie wird nie auf Dauer im Exil leben wollen, aber genau das würde sie tun müssen, wenn sie das Land ohne meine Erlaubnis und ohne Papiere verläßt. Daher müßt ihr euch scheiden lassen.«
»Nein.«
»Schick Scharazad heute nachmittag zu mir und verlaß unverzüglich Teheran! Eure Ehe wurde nicht nach moslemischem Recht geschlossen und ist daher unwichtig. Die kanadische Ziviltrauung werden wir annullieren lassen.«
»Damit wird Scharazad nie einverstanden sein.«
»Nein? Seid um 6 Uhr in meinem Haus, und wir bringen die Sache zu Ende. Nachdem du das Land verlassen hast, werde ich deine Schulden im Iran begleichen. Um 6 Uhr abends. Pünktlich. Guten Morgen!«
Er wußte nicht mehr, wie er in die Wohnung zurückgekommen war, aber er hatte ihr alles erzählt. Wieder Tränen, und am Abend gingen sie ins Haus der Bakravans. Meschang war angewidert von Scharazads jämmerlichem Gebettel. »Mach dich nicht lächerlich, Scharazad! Hör auf zu heulen! Es geschieht alles nur zu deinem Besten, zum Besten deines Kindes und deiner Familie! Wenn du mit einem kanadischen Paß und ohne iranische Papiere reist, darfst du nie wieder zurück. Willst du in Aberdeen leben? Allah schütze dich, in einem Monat stirbst du an Kälte, und dein Sohn auch … Du würdest uns nie wieder sehen, denk daran! Denk an deinen Sohn …« Und immer und immer wieder, bis Scharazad keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und Tom völlig am Boden zerstört war.
»Tommy.«
Damit brachte sie ihn jetzt in die Gegenwart zurück.
»Ja?«
»Du willst mich also für immer verlassen?« fragte sie auf Persisch.
»Ich kann nicht im Iran bleiben. Sobald wir einmal dichtgemacht haben, gibt es hier keinen Job mehr für mich. Ich habe kein Geld und … für Almosen habe ich nie viel übrig gehabt.« Sein Blick war ohne Falsch. »Meschang hat in vielem recht. Von einem Leben mit mir könntest du dir nicht viel erwarten, und du hast recht, wenn du hierbleiben willst. Sicher wäre es gefährlich, ohne iranische Papiere auszureisen, und du mußt ja auch an das Kind denken, das weiß ich. Und da ist dann auch noch … nein, laß mich ausreden, da ist dann auch noch die Geschichte mit der HBC.« Das erinnerte ihn an ihren Vetter Karim. Noch eine Schreckensmeldung, die ihr bevorstand. Arme Scharazad!
»Du verläßt mich für immer?«
»Ich fliege heute nach Kowiss. Dort bleibe ich ein paar Tage, bis ich nach Al Schargas gehe. In Al Schargas warte ich. Einen Monat. Genug Zeit, damit du dir überlegen kannst, was du machen willst. Wenn du zu mir kommen willst … die Kanadische Botschaft macht das sofort; ich habe schon alles arrangiert … Und natürlich bleibe ich mit dir in Verbindung.«
»Über Mac?«
»Über ihn oder sonstwie.«
»Du läßt dich also von mir scheiden?«
»Nein, niemals. Wenn du das willst oder … Drücken wir es mal so aus: Wenn du denkst, es ist nötig, um unserem Kind nicht zu schaden oder aus sonst einem Grund – dann werde ich tun, was du willst.«
Stille breitete sich aus. Sie sah ihn an. In ihren großen dunklen Augen war ein ungewöhnliches Leuchten. Sie schien alt geworden zu sein und doch auch viel jünger und zerbrechlicher. Das durchsichtige Nachthemd brachte den Glanz ihrer golden schimmernden Haut und ihres Haares, das ihre Schultern und Brüste umfloß, noch vorteilhafter zur Geltung.
Hilflosigkeit verzehrte ihn. Er hätte bleiben wollen und wußte, daß es keinen Grund mehr dafür gab, noch länger zu bleiben. Es ist alles gesagt, und jetzt liegt die Entscheidung bei ihr. An ihrer Stelle würde ich nicht zögern: Ich würde mich scheiden lassen, ich hätte überhaupt nie einen Fremden geheiratet. »Leb wohl, Geliebte!« sagte er.
»Leb wohl, Geliebter!«
Er nahm seine Fliegerjacke und ging. Sie hörte, wie die Eingangstür zuging. Lange Zeit starrte sie ihm nach. Dann schenkte sie sich, in Gedanken versunken, Kaffee nach; er war heiß, stark und süß – und lebenspendend. Wie es Allah gefällt, dachte sie und war mit sich selbst im reinen. Entweder er kommt zurück oder er kommt nicht zurück. Entweder Meschang gibt nach oder er gibt nicht nach. So oder so, ich muß stark sein, für zwei essen und mich guten Gedanken überlassen, während ich meinen Sohn nähre.
Sie schlug das erste Ei auf. Es
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