Wirbelsturm
seines Passagiers ledig geworden. Die 206 hatte noch einmal gekreist, um sicherzugehen, daß Kia nichts zugestoßen war. Rot vor Wut war der Mann dagestanden und hatte McIver mit der Faust gedroht. Dann hatte McIver Kurs auf die Küste genommen, und obwohl er sich jetzt in Sicherheit befand, hatten die Schmerzen in seiner Brust angehalten. Übelkeit und Hitze durchfluteten ihn wechselweise.
Es ist nur die Spannung der letzten Woche, die sich jetzt bemerkbar macht, hatte er sich besänftigend vorgesagt. Das und die Bemühungen, den Burschen aus dem Cockpit zu befördern, die Sorge um die Operation ›Wirbelsturm‹ und der Schrecken, den dir der Mullah mit seinen Fragen eingejagt hat.
Ein paar Minuten war er noch weitergeflogen. Es war ihm schwergefallen, sich zu konzentrieren. Die Schmerzen hatten zugenommen. Bei einer neuen Welle von Übelkeit hätte er fast die Kontrolle über sich verloren. Er beschloß zu landen und eine kleine Weile auszuruhen. Noch befand er sich in den Bergen: Felsen und Baumgruppen und Schnee, die Wolkendecke niedrig und ziemlich dünn. Wie durch einen Nebel entschied er sich für ein Plateau und ging nieder. Es war eine schlechte Landung, und das machte ihm große Angst, mehr als alles sonst. Ganz in der Nähe stürzte ein nur zum Teil zugefrorener Wildbach über die Felsen zu Tal. Das Wasser lockte ihn. Von Schmerzen gepeinigt, schaltete er ab und schwankte hinüber, legte sich auf die schneebedeckte Erde und trank in großen Zügen. Das Wasser und die kalte Luft halfen ihm. Nachdem er sich mit einer Handvoll Schnee Nacken und Schläfen eingerieben hatte, fühlte er sich wohler. Allmählich ließen die Schmerzen nach, und auch das Kribbeln in seinem linken Arm verging. Er raffte sich auf, schaffte es, noch ein wenig taumelnd, wieder in den Cockpit zu gelangen und lehnte sich in seinem Sitz zurück.
Der Cockpit war warm und gemütlich und vertraut. Automatisch schnallte er sich an. Die Stille breitete sich über seine Ohren in seinem Schädel aus. Nur das sanfte Brausen von Wind und Wasser, keine Triebwerke, kein Verkehr, keine Störgeräusche, nur Wind und Wasser. Frieden. Seine Lider waren schwerer als je zuvor. Er schloß die Augen. Er schlief.
Er schlief tief und gut, aber nur knapp eine halbe Stunde. Als er erwachte, fühlte er sich neu belebt – keine Schmerzen, kein Unbehagen –, nur ein wenig benommen, so als ob er seinen schlechten Zustand nur geträumt hätte. Er reckte sich wohlig. Da hörte er leises Klirren von Metall gegen Metall. Er drehte sich um. Auf einem kleinen Bergpony saß ein junger Eingeborener und beobachtete ihn schweigend. Ein Gewehr hatte er in seiner Satteltasche stecken, ein zweites hing neben einem Patronengürtel über seinen Rücken. Die beiden starrten sich an, dann lächelte der Jüngling, und das Plateau schien aufzuleuchten. »Salaam, Agha.«
»Salaam, Agha.« McIver erwiderte das Lächeln und stellte überrascht fest, daß er überhaupt keine Angst hatte; die wilde Schönheit des Jungen nahm ihm jede Befangenheit. » Loftan befarma 'id scboma ki hastid?« Darf ich fragen, wer du bist?
»Agha Mohammed Rud Kahani«, und dann einige Wörter, die McIver nicht verstand. Schließlich lächelte er noch einmal und fügte hinzu: »Kaschkai.«
»Ach ja, Kaschkai.« McIver nickte und deutete auf sich: »Agha McIver.« Und dann wieder ein auswendig gelernter Satz: » Nam zaban-e schoma ra khoob nama danam .« Tut mir leid, ich spreche deine Sprache nicht.
»Inscha'Allah. Amerika?«
»England. Engländer.« Er beobachtete sich und den anderen Mann. Hubschrauber und Pferd, Pilot und Stammesangehöriger, wahre Abgründe zwischen den beiden, aber keinerlei Bedrohung. »Tut mir leid, aber ich muß jetzt los«, sagte er auf Englisch und machte mit den Händen das Wegfliegen nach. Der Junge nickte und hob seine Hand zum Gruß. Als beide Turbinen die volle Leistung erreicht hatten, winkte McIver und hob ab. Auf dem ganzen Flug zum Treffpunkt hatte er über den Jüngling nachgedacht. Er hatte keinen Grund, nicht auf mich zu schießen, oder vielleicht auch keinen Grund, auf mich zu schießen. Habe ich ihn nur geträumt? Habe ich meine Schmerzen geträumt? Nein, habe ich nicht. Hatte ich einen Herzinfarkt?
Er stellte sich diese Frage jetzt, da er sich anschickte, Kurs auf Kuwait zu nehmen. Er streifte Wazari mit einem Blick. Wie gefährdet bin ich jetzt? fragte er sich. Wenn ich einen Infarkt hatte, vielleicht auch nur einen leichten, könnte ich ja wieder einen
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