Wirbelsturm
sich dann an Azadeh. »Nun?«
»Es … es geschah ohne meine Einwilligung, doch …« Sie verstummte.
»Doch?«
Azadeh fühlte sich elend. Der Kopf tat ihr weh, und sie war verzweifelt. Die türkische Polizei war bekannt für ihre Sturheit, für die große persönliche Macht einzelner und für ihre Härte. Die Worte sorgfältig abwägend, erzählte Azadeh stockend von dem Schwur, den sie Abdullah Khan geleistet hatte, von Hakim und ihrem Dilemma, und wie Erikki aus eigenem Entschluß den gordischen Knoten durchhauen hatte. Tränen rollten ihr über die Wangen. »Ja, es geschah ohne meine Einwilligung, doch gewissermaßen mit der Einwilligung meines Bruders, der Erikki …«
»Wenn Hakim Khan einverstanden war, warum hat er dann eine hohe Belohnung für die Ergreifung Ihres Mannes, tot oder lebendig, ausgesetzt und seine sofortige Auslieferung verlangt?«
Sie erschrak so, daß sie beinahe in Ohnmacht gefallen wäre. Ohne zu überlegen, wollte Erikki zu ihr, aber der Revolver bohrte sich in seinen Bauch. »Ich … ich wollte ihr nur helfen«, stammelte er.
»Dann bleiben Sie, wo Sie sind!« Auf türkisch sagte der Offizier: »Töte ihn nicht!« Und auf englisch: »Nun, Lady Azadeh, warum?«
Sie war außerstande, ihm zu antworten. Ihre Lippen bewegten sich, sie brachte aber keinen Laut hervor. Erikki antwortete für sie: »Was kann ein Khan anderes tun, Herr Major? Die Ehre eines Khans steht auf dem Spiel. Er muß sein Gesicht wahren. Nach außen hin muß er sich so verhalten, was immer er privatim denkt. Meinen Sie nicht auch?«
»Vielleicht, aber ganz sicher nicht so schnell. Nein. Nicht so schnell. Er läßt Jäger und Kampfhubschrauber losbrausen – warum sollte er das tun, wenn er Sie entwischen lassen möchte? Es grenzt an ein Wunder, daß Sie nicht abgeschossen wurden. Das klingt alles wie ein Sack voll Lügen. Vielleicht hat Ihre Frau so viel Angst vor Ihnen, daß sie sich nicht zu reden traut. Aber nun zu Ihrer Flucht aus dem Palast: Wie ging diese Flucht vor sich?«
Erikki erzählte es ihm. Was soll ich sonst tun? fragte er sich. Ihm alles sagen und hoffen. Ganz natürlich, daß Hakim so reagierte. Selbstverständlich: tot oder lebendig. Fließt nicht das Blut seines Vaters in seinen Adern?
»Und die Waffen?«
Erikki erzählte dem Major, wie er gezwungen worden war, für den KGB zufliegen. Er erzählte von dem Lösegeld und von Scheich Bayazid, von dem Angriff auf den Palast und wie er die Bergbewohner zurückfliegen mußte.
Dann schilderte er, wie sie ihren Eid gebrochen hatten und daß er sie töten mußte. »Wie viele waren es?«
»Das weiß ich nicht mehr genau. Vielleicht ein halbes Dutzend, vielleicht auch mehr.«
»Töten macht Ihnen Spaß, was?«
»Im Gegenteil, Herr Major: Ich verabscheue es. Aber glauben Sie uns: Wir haben uns, ohne es zu wollen, in einem Netz verstrickt und wollen nichts anderes als die Freiheit. Bitte, lassen Sie mich doch unsere Botschaft anrufen. Man wird für uns bürgen … Wir bedrohen niemanden …«
Der Major sah ihn bloß an. »Ich glaube Ihnen nicht. Ihre Geschichte scheint mir zu weit hergeholt. Sie werden wegen Entführung und Mordversuch gesucht. Bitte, gehen Sie mit dem Sergeanten!« forderte er ihn auf und wiederholte seine Aufforderung auf türkisch. Erikki bewegte sich nicht. Er ballte seine Hände zu Fäusten und war nahe daran zu explodieren. Aber schon zückte der Sergeant die Pistole, seine Kollegen kamen gefährlich näher, und der Major fuhr ihn scharf an: »In diesem Land ist es ein schweres Verbrechen, wenn man einem Polizisten nicht gehorcht. Gehen Sie mit dem Sergeanten!« Azadeh wollte etwas sagen, brachte es aber nicht fertig. Erikki schüttelte die Hand des Sergeanten ab, zähmte seine sinnlose Wut und versuchte zu lächeln, um ihr Mut zu machen. »Ist schon in Ordnung«, murmelte er und folgte dem Sergeanten.
Azadehs Panik und Entsetzen hatten sie fast überwältigt. Ihre Finger und Knie zitterten, aber sie wollte sich nicht unterkriegen lassen, obwohl sie wußte, daß sie wehrlos war. Der Major saß ihr gegenüber und beobachtete sie. Inscha'Allah, dachte sie, sah ihn an und haßte ihn.
»Sie haben nichts zu fürchten«, sagte er, griff über den Tisch und nahm den Schmuckbeutel an sich. »Bei mir ist das gut aufgehoben.« Er ging zur Tür, schloß sie hinter sich und stelzte den Gang hinunter.
Die Zelle am anderen Ende war klein und schmutzig, eher ein Käfig als ein menschenwürdiger Raum. Die Ausstattung bestand aus einer
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