Wirbelsturm
sprachen alle kein Englisch. Nach einem Plan, den Azadeh und Erikki sich ausgedacht hatten, erklärte sie ihnen, daß Erikki, ein finnischer Staatsbürger und Angestellter der S-G, und sie, seine Frau, bei den Unruhen in Aserbeidschan und den Straßenkämpfen in Täbris von den Kommunisten mit dem Tod bedroht worden seien und daher fliehen mußten.
»Aha, der Effendi ist also Finne, und Sie sind Iranerin?«
»Von Geburt Iranerin, durch meine Eheschließung aber ebenfalls Finnin, Sergeant Effendi. Hier sind unsere Papiere.« Sie hatte ihm ihren finnischen Paß gegeben, in dem ihr verstorbener Vater, Abdullah Khan, nicht erwähnt war. »Könnten wir irgendwo telefonieren, bitte? Wir bezahlen natürlich. Mein Mann hätte gern seine Botschaft angerufen und auch seinen Chef in Al Schargas.«
»Aha, Al Schargas.« Der Sergeant nickte freundlich. Er war ein stämmiger, glattrasierter Mann. »Wo ist das?«
Sie erklärte es ihm, wobei ihr nur zu bewußt war, wie sie und ihr Mann aussahen. Erikki mit dem schmutzigen, blutgetränkten Verband um seinen Arm und dem primitiven Pflaster über seinem verletzten Ohr, sie mit verfilzten Haaren, schmuddeligen Kleidern und ungewaschenem Gesicht. Im Hintergrund kreisten die zwei Kampfhubschrauber. Nachdenklich betrachtete sie der Sergeant. »Was sie wohl dazu bewegt, unseren Luftraum zu verletzen und Ihnen Jagdflugzeuge und Hubschrauber nachzuschicken?«
»Allahs Wille, Sergeant Effendi. Ich fürchte, es geschehen jetzt viele seltsame Dinge jenseits der Grenze.«
»Wie sieht es denn da drüben aus?« Mit einem Wink wies er die anderen Beamten an, die 212 zu inspizieren. Die drei Polizisten schlenderten zum Hubschrauber. Einer öffnete die Kabinentür. Einschußlöcher. Blutflecken. Und eine Menge Waffen. »Sergeant!«
Der Sergeant wartete höflich, bis Azadeh zu Ende gesprochen hatte. Die Dorfbewohner – Männer, Frauen und Kinder – standen mit weitaufgerissenen Augen im Kreis, kein Tschador, kein Schleier war zu sehen. Dann deutete der Sergeant auf eine der primitiven Hütten. »Bitte, warten Sie da drüben im Schatten!« Es war ein kalter Tag, die Sonne glitzerte auf der schneebedeckten Erde. Gemächlich durchsuchte der Sergeant Cockpit und Maschine. Er hob das kookri auf, ließ es in der Sonne blitzen und legte es wieder weg. Dann winkte er Azadeh und Erikki zu sich. »Welche Erklärung haben Sie für all die Waffen, Effendi?«
Mit einem Gefühl des Unbehagens übersetzte Azadeh die Frage für Erikki.
»Sag ihm, sie wären von iranischen Bergbewohnern zurückgelassen worden, die versucht hatten, die Maschine zu kapern.«
»Ach ja, Bergbewohner«, sagte der Sergeant. »Es überrascht mich, daß Bergbewohner Sie mit einem solchen Schatz davonfliegen ließen. Können Sie mir das erklären?«
»Sag ihm, sie seien alle von Loyalisten getötet worden, und in dem Tumult habe ich entkommen können.«
»Loyalisten, Effendi? Was für Loyalisten?«
»Polizisten. Polizisten aus Täbris«, antwortete Erikki, dem schmerzlich zu Bewußtsein kam, daß er mit jeder Antwort tiefer im Treibsand versank. »Frag ihn, ob ich telefonieren kann.«
»Telefonieren? Selbstverständlich. Zur gegebenen Zeit.« Sekundenlang sah der Sergeant zu den Hueys hinüber. »Ich bin froh, daß die Polizei loyal war. Die Polizei hat eine Verpflichtung gegenüber dem Staat, dem Volk und dem Gesetz. Waffenschmuggel ist gegen das Gesetz. Vor der Polizei zu flüchten, die auf dem Boden des Gesetzes steht, ist ein Verbrechen. Richtig?«
»Ja, aber wir sind weder Waffenschmuggler noch Flüchtlinge vor einer Polizei, die auf dem Boden des Gesetzes steht«, entgegnete Azadeh, die jetzt noch mehr verängstigt war. Die Grenze war so nahe, und der letzte Teil ihrer Flucht war entsetzlich gewesen. Offenbar hatte Hakim Khan das ganze Grenzgebiet alarmiert. Nur er hatte soviel Einfluß, so schnell eine Fahndungsaktion in diesem Ausmaß anlaufen zu lassen.
»Sind Sie bewaffnet?« fragte der Sergeant höflich.
»Ich habe nur einen Dolch.«
»Darf ich Sie um den bitten?« Der Sergeant nahm ihm den Dolch aus der Hand. »Bitte, folgen Sie mir!«
Sie waren zum Polizeirevier gegangen, einem bescheidenen Ziegelbau mit Zellen und ein paar Büroräumen und Telefonen unweit der Moschee auf dem kleinen Dorfplatz. »In den letzten Monaten sind hier viele Flüchtlinge aller Arten durchgekommen: Iraner, Briten, andere Europäer, Amerikaner, viele Leute aus Aserbeidschan, aber keine Sowjetrussen.« Er lachte. »Viele Flüchtlinge.
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