Wissen auf einen Blick - Ozeane und Tiefsee
bricht. In Modellen haben die Forscher berechnet, dass man Schalen ohne solche Rippen mit 40 % weniger Kraftaufwand knacken könnte.
Viele kleine Wassertiere können diesen widerstandsfähigen Schutz nicht zerbeißen. Wenn sie die Algen aber unzerkaut verschlingen, passieren diese oft unversehrt den Verdauungstrakt. Ihre gläserne Rüstung rettet den Diatomeen also häufig das Leben. Allerdings haben etliche Tierarten im Lauf der Evolution dann doch wirksame Methoden entwickelt, um die gläsernen Panzer zu durchbrechen. So besitzen manche spezielle Mundwerkzeuge, andere können die Einzeller verdauen, ohne die Schalen zu öffnen.
Zahnpasta und Dynamit
Die Widerstandsfähigkeit der Kieselsäure-Rüstungen reicht sogar über den Tod ihrer Bewohner hinaus. Wenn die Diatomeen absterben, bleiben ihre Schalen zunächst erhalten und sinken auf den Grund von Meeren und Seen. Vor allem in kühlen und kalten Meeresregionen bilden sich so mächtige Ablagerungen aus Diatomeen-Schlamm. Wissenschaftler schätzen, dass diese Substanz derzeit etwa 8% des Meeresbodens auf der Erde bedeckt. Im Lauf langer Zeiträume entsteht daraus ein Sedimentgestein, das „Kieselgur“. Dieses leichte und poröse Material kann man für die verschiedensten Zwecke einsetzen. Es macht Autoreifen abriebfester, Asphalt beständiger und Dünger streufähiger. Man kann es als Filter benutzen, um Trinkwasser zu entkeimen oder Abwasser zu klären. Es dient als Putzkörper in Zahnpasta und als reflektierender Bestandteil in der Farbe für Straßenmarkierungen. Und wenn man Kieselgur mit Nitroglycerin mischt, erhält man Dynamit.
Unter dem Elektronenmikroskop wird die feingliedrige Rippenstruktur des Panzers vieler Diatomeen deutlich sichtbar
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(c) mauritius images
Winzige Chemiefabriken
Algen produzieren gefährliche Gifte
Mit dieser Gefahr hatte niemand gerechnet. Die Alge
Chrysochromulina polylepis
galt als weitverbreitete, harmlose Art. Bis sie im Frühjahr 1988 vor der skandinavischen Küste plötzlich gewaltige Teppiche bildete, aus denen ein hochwirksames Gift strömte. Auf einer Länge von mehreren Hundert Kilometern wurde in den betroffenen Gewässern der gesamte Fischbestand vernichtet.
Pflanzliche Giftmischer
Derzeit kennen Biologen ungefähr 100 Algenarten, die toxische Substanzen produzieren können. Die pflanzlichen Giftmischer sind damit eine verschwindend kleine Minderheit unter den mehr als 10 000 Algenarten der Weltmeere. Etliche bekannte Giftproduzenten gehören zur Gruppe der Dinoflagellaten oder Panzeralgen. Die Vertreter der Gattung
Alexandrium
z. B. lösen die bekannten „red tides“ aus, bei denen in jedem Milliliter Wasser Millionen giftige Einzeller schwimmen und das Meer tief rot färben.
Gerade solche gefährlichen Arten scheinen von den Aktivitäten des Menschen zu profitieren. Weltweit nehmen die giftigen Algenblüten zu. Zwar kennt man solche Ereignisse in Europa schon seit mehr als 100 Jahren. Doch je mehr Stickstoff die Flüsse aus Abwässern und Düngemitteln ins Meer transportieren, desto günstiger werden die Bedingungen für solche gefährlichen Entwicklungen.
Die kleinen Giftmischer scheinen aber nicht nur häufiger, sondern auch gefährlicher zu werden. Wenn sich Dinoflagellaten vermehren, bauen sie Stickstoff und Phosphor im Verhältnis 16 zu 1 in ihre Zellbestandteile ein. Da es vielerorts aber Stickstoff im Überfluss gibt, wird den Einzellern mit der Zeit der Phosphor knapp. Die Algen hören daraufhin auf, sich zu vermehren. Ihr Stoffwechsel arbeitet aber nach wie vor auf Hochtouren und wandelt den überschüssigen Stickstoff in verschiedene Verbindungen um. Manche davon sind Gifte wie Saxitoxin, das 30 % Stickstoff, aber keinen Phosphor enthält.
Tödliche Mahlzeit
Vor den schottischen Orkneyinseln haben Wissenschaftler Muscheln gefangen, die pro Kilogramm bis zu 5 mg des Algengiftes Saxitoxin enthielten. Schon der Verzehr einer einzigen dieser Muscheln hätte bei empfindlichen Menschen Vergiftungssymptome ausgelöst. Eine ganze Mahlzeit wäre tödlich gewesen
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Gefahr auf dem Teller
Wofür die Einzeller diese Toxine brauchen, bleibt allerdings ein Rätsel. Eine sinnvolle ökologische Erklärung gibt es bisher nicht. Denn Muscheln und anderen Algenfeinden machen die Gifte nicht besonders viel aus. Gefährlich wird es dagegen für die höheren Glieder der Nahrungskette. Auch für Menschen kann ein Muschelgericht aus einem algenbelasteten Meeresgebiet fatale Konsequenzen haben. Denn die Weichtiere
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