Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)
einer nach meinem Dafürhalten gesunden Philosophie des Anthropozäns, daß Gaia keine einheitlichere Handlungsinstanz darstellt als das Menschengeschlecht, das sich auf der anderen Seite der Brücke aufhalten soll. Die Symmetrie ist vollkommen, denn über ihre Zusammensetzung wissen wir ebensowenig Bescheid wie über unsere eigene . Darum ist Gaia-in-uns bzw. Wir-in-Gaia – also dieses sonderbare Möbiusband – in so hohem Maße dazu geeignet, die Aufgabe der Komposition zu erfüllen. Gaia muß Stück für Stück komponiert werden, und für uns gilt das gleiche. Kontinuität ist etwas, was aus dem Universum verschwunden ist – jedenfalls aus seinem sublunaren Teil. Ja, Gaia ist die vollkommene Gauklerin.
Der vierte und letzte Gauklertrick, den ich hier betrachten möchte, wirkt freilich überaus deprimierend. Die ganze Idee der Kluft, über die ich hier einen Überblick gegeben habe, beruht auf der Vorstellung von einer gewaltigen Bedrohung, auf die wir nur langsam reagieren und auf die wir uns gar nicht einstellen können. Das ist die Feder, mit der die Falle gespannt wurde. Natürlich, angesichts einer dermaßen bedrohlichen Falle werden die Vernünftigsten unter uns mit dem durchaus einleuchtenden Gegenargument reagieren, apokalyptische Verkündigungen seien genauso alt wie die Menschheit. Und es stimmt auch, daß meine Generation zum Beispiel die Bedrohung durch den nuklearen Holocaust überlebt hat, den etwa Günther Anders seinerzeit prächtig mit den Mitteln einer Sprache analysiert hat, die den Formulierungen heutiger Weltgerichtspropheten überaus ähnlich war – und dennoch sind wir immer noch da. In der gleichen Weise könnten Umwelthistoriker darauf verweisen, die Warnung vor dem Dahinsterben der Erde sei so alt wie die sogenannte industrielle Revolution. Und eine weitere Dosis gesunder Skeptizismus scheint berechtigt zu sein, wenn man etwa liest, daß Dürer – ja, kein Geringerer als der große Dürer – seine Seele auf den im Jahr 1500 erwarteten Weltuntergang vorbereitete und gleichzeitig einen ordentlichen Batzen Geld investierte, um in der Hoffnung auf einen saftigen Gewinn seine herrlichen, teuren Darstellungen der Apokalypse stechen zu lassen. Eingedenk dieser tröstlichen Überlegungen könnten wir uns nun im Hinblick auf die Dummheit der Weltgerichtsprophezeiungen in Sicherheit wiegen.
Ja, ja, ja. Es sei denn, die Dinge liegen genau umgekehrt, und was wir jetzt mitbekommen, ist wieder mal ein Fall, in dem schon zu häufig blinder Alarm geschlagen worden ist. Was wäre, wenn wir von einer symbolischen und metaphorischen Definition des menschlichen Handelns zu einer buchstäblichen übergegangen wären? Genau das ist schließlich mit dem Begriff »Anthropozän« gemeint: Alles, was früher symbolisch war, muß jetzt buchstäblich genommen werden. Damals haben die Kulturen auf symbolische Weise »die Erde geformt«; heute verleihen sie ihr hingegen die endgültige Gestalt. Außerdem hat sich der Kulturbegriff selbst – zusammen mit dem Begriff der Natur – aus dem Staub gemacht. Wir sind postnatürlich – das stimmt; aber auch postkulturell.
Unter Bezugnahme auf die erste berühmte Untersuchung zum Begriff der kognitiven Dissonanz ( When Prophecy Fails von Festinger, Riecken und Schachter 5 ) macht Clive Hamilton geltend, wir sollten uns diese Studie über die Weltuntergangsprognosen von Mrs. Keech noch einmal genau ansehen. Vielleicht liegt die Kluft in unserem Fall nicht darin, daß wir das Ende erwarten und dann das System unserer Überzeugungen neu ordnen müssen, um zu erklären, warum es nicht gekommen ist. (So mußten die frühen Christen verfahren, als sie merkten, daß das Ende nicht in der Gestalt eines mit apokalyptischem Feuerwerk durch den Himmel stürzenden Christus kommen werde, sondern in der Gestalt der allmählichen Expansion des Konstantinischen Reiches.) Für uns Heutige könnte die Kluft darin liegen, daß wir glauben, der endgültige Weltuntergang sei nicht im Anmarsch. Das wäre ein hübsches und entsetzliches Beispiel für When Prophecy Succeeds – Wenn die Prophezeiung zutrifft ! Und in diesem Fall hieße »leugnen« soviel wie: das System unserer Überzeugungen neu ordnen, um nicht zu sehen, was da Großes auf uns zukommt. Das ist der Grund, weshalb Clive Hamilton die sonderbare und erschreckende Behauptung aufstellt, wir sollten die Hoffnung aufgeben, wenn wir uns wirklich auf Transaktionen mit Gaia einlassen möchten. Die Hoffnung – die unablässige
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