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Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)

Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)

Titel: Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hagner
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Rolle spielen, sondern nur, daß der Mechanismus der Ausgrenzung endogen durch einen iterativen Vorgang definiert ist, nämlich durch die schrittweise Entwicklung der Disziplinen und Paradigmen. Zwar kann jeder, sofern er über genügend Talent, Ehrgeiz und Ausbildung verfügt, es schaffen, in die Wissenselite aufgenommen zu werden, aber dieser Umstand besagt nicht, daß das Wissen als Ideensystem demokratisch ist, sondern nur, daß die Zugehörigkeit zu dieser Elite demokratisch geregelt ist. Dieser Gesichtspunkt interessiert mich an dieser Stelle aber nicht. Vielmehr ist es die demokratische oder nichtdemokratische Qualität des Wissens selbst, auf die es ankommt.
    Die bloße Fragestellung zeigt, welcher Herausforderung man gegenübersteht, wenn man begrifflich zu erfassen versucht, was es mit der Demokratie des Wissens auf sich hat. Den üblichen Theorien zufolge beinhaltet die Idee der Demokratie zwei Prinzipien, nämlich das Prinzip der politischen Gleichheit und das Prinzip der Volkssouveränität. In der Praxis ist ein Großteil der Demokratietheorie damit beschäftigt, diese beiden Prinzipien mit der Notwendigkeit des Minderheitenschutzes und dem Faktum tyrannischer Mehrheiten in Einklang zu bringen. Infolgedessen hat man sich im Rahmen der formalen Demokratietheorien kaum um die Ziele gekümmert, die das Regierungssystem wirklich zu erreichen strebt, sondern ist lieber von der Annahme ausgegangen, diese Zielsetzungen könnten nur aus den unabhängigen Wünschen der Bürger selbst hervorgehen, so als sei die Demokratie außerstande, sich ein kollektives Projekt – etwa ein prächtiges Wissensgewebe – auszumalen.
    Zunächst wollen wir Schritt für Schritt denken und uns über die Demokratie des Wissens als Alltagsprojekt den Kopf zerbrechen. Ich habe den Eindruck, Demokratie des Wissens könnte beispielsweise heißen, daß ich die Kenntnisse, die sich mein Klempner über frühere Klosettformen erworben hat, ernst nehme; oder daß der weltweit anerkannte Künstler ernst nimmt, was ein Bauer über die genaue Blütenfolge in einer bestimmten Hecke weiß; oder daß der Wirtschaftswissenschaftler die instinktiven Einsichten eines ausgebufften Warenverkäufers ernst nimmt. Wie alle diese Beispiele verdeutlichen, besteht – vom Standpunkt der Wissenseliten aus gesehen – ein Aspekt der Demokratisierung darin, daß man auf der langen Abstraktionsleiter, auf der man hochgeklettert ist, wieder herabsteigt. Besser wäre es vielleicht, unsere ganze Vorstellung von induktiver Abstraktion theoretisch neu zu fassen. Womöglich wäre es nützlicher, die Abstraktion als einen Fraktalgenerator zu deuten, der auf vielen Ebenen zu erkennen ist – in der Geschichte unserer Wasserklosetts ebenso wie in der Geschichte des Kapitalismus, in den Farben einer Hecke ebenso wie in den Farben des Quattrocento, in den Spannungsmomenten eines Nachmittags auf dem Markt ebenso wie in den langfristigen Trends eines ganzen Konjunkturverlaufs.
    Demokratie des Wissens ist demnach nicht einfach eine verbesserte Popularisierung. Das wäre ein Trickle-down -Ansatz zur Demokratisierung des Wissens. Danach würden wir – die Eliten – das Wahre, das Gerechte und das Schöne produzieren, und diese Produkte würden sodann in der Gestalt verwässerter Lesarten an unser dankbares Volkspublikum weitergereicht werden. Eine dermaßen törichte Theorie wird von ihren Opfern natürlich reichlich belohnt. Zeitschriften, Museen und Fernsehprogramme sind mit Populärwissenschaft, Populärgeschichte und Populärliteratur vollgestopft. Für diesen Stoff haben die meisten von uns nichts als Verachtung übrig, denn aus unserer Sicht ist dergleichen borniert, unbedarft und ziemlich oft völlig verkehrt. Doch von den Konsumenten solcher Dinge wird uns diese Verachtung heimgezahlt, indem sie dergleichen nicht als Wissen, sondern als eine Form von Unterhaltung ansehen. In einer demokratisierten Wissenswelt geschähe das nicht. Dort würde Elitenwissen nicht als Unterhaltung, Ideologie oder sonst etwas Instrumentelles populär verwertet werden. Vielmehr würde man die Hinsichten betonen, in denen unser eigenes Wissen eine kontinuierliche Fortsetzung öffentlichen Wissens ist, und den Spaß anerkennen, den die Öffentlichkeit an ihren eigenen, ganz realen, wenn auch verschiedenartigen und »theoriefreien« Formen des Wissens findet.
    Ein geeigneterer Weg, um sich der Frage der Demokratie zu nähern, besteht vielleicht darin, das Verhältnis zwischen dem

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