Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)
übereinstimmenden Expertenmeinung ergibt sich eine auf mehreren Ebenen zu führende Debatte. Auf der untersten Ebene geht es um die Existenz der anthropogenen Erderwärmung; und was diese Ebene betrifft, sollten abweichende Meinungen längst verstummt sein. Auf der zweiten Ebene handelt es sich um die Frage, ob die wahrscheinlichen Zunahmen der irdischen Durchschnittstemperatur unerfreuliche oder katastrophale Folgen haben werden. Im Idealfall würde die auf dieser Ebene geführte Debatte mit einer Zuordnung genauer Wahrscheinlichkeiten zu den Intervallen beginnen, in deren Rahmen die Zunahme liegen könnte. Dazu könnte man beispielsweise fest
Abb. 4 : Ein Anstieg der Durchschnittstemperatur kann zur Häufung extremer Wetterphänomene führen.
stellen, die Wahrscheinlichkeit für eine Zunahme um vier bis fünf Grad liege, sofern dem Ausstoß von Treibhausgasen kein Einhalt geboten wird, bei 0 , 19 . Außerdem könnte man die exakten Folgen eines solchen Temperaturanstieges angeben und beispielsweise jene Regionen der Welt ermitteln, die überschwemmt werden oder von extremer Dürre betroffen sein werden, und so weiter. Realistisch gesehen , ist nichts dergleichen möglich. Angenommen, wir beschränken unsere Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen für das menschliche Wohlergehen – und das ist, angesichts der Schwierigkeit der Berücksichtigung aller ökologischen Variablen, die das Überleben nichtmenschlicher Arten beeinflussen könnten, und angesichts der sehr unterschiedlichen Sorgen, die sich die Menschen im Hinblick auf den Artenschutz machen, eine durchaus sinnvolle Einschränkung. Doch selbst wenn man von dieser Annahme ausgeht, ist bereits die Schätzung des Anstiegs des Meeresspiegels eine schwierige Sache; doch die Einbeziehung der zahllosen Faktoren, die zu Dürre, Einbrüchen der landwirtschaftlichen Produktion, Häufigkeit katastrophaler Wetterereignisse und Krankheitsausbreitung führen, wäre noch weitaus schwieriger.
Was eine vernünftige Auseinandersetzung auf dieser zweiten Ebene betrifft, wäre es auf jeden Fall besser, einen Begriff der »katastrophalen Folgen« zu bestimmen und im Hinblick auf spezifische Intervalle des Temperaturanstiegs die Frage aufzuwerfen, wie groß die Chance ist, dieses Ergebnis zu vermeiden. In diesem Sinne könnte man etwa feststellen, daß eine Situation, in der innerhalb eines Jahrzehnts mindestens eine Milliarde Menschen infolge der Erderwärmung ums Leben kommt, eine katastrophale Konsequenz inakzeptablen Ausmaßes darstellt, um sodann die Frage zu stellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich dieses Ergebnis verhindern ließe, wenn der Anstieg der Durchschnittstemperatur 3 , 5 bis 4 , 5 Grad betrüge. Jede Antwort auf diese Frage wäre freilich eine Sache des Expertenurteils. Dennoch ist es wohl wahrscheinlich, daß jene, die sich intensiv damit befaßt haben, die überaus vielfältigen, der Darstellung möglicher Beeinträchtigungen des menschlichen Wohlergehens und des menschlichen Überlebens dienenden Szenarios zu artikulieren, ungefähr folgendes sagen würden: Zieht man die unterschiedlichen Faktoren in Betracht, von denen schon die Rede war – Anstieg des Meeresspiegels, Dürre, Wasserverseuchung, Einbrüche der landwirtschaftlichen Produktion, Veränderungen im Muster von Krankheitsübertragungen und notgedrungene Völkerwanderungen –, dürfte es, wenn die Durchschnittstemperatur der Erde zwischen 3 , 5 und 4 , 5 Grad anstiege, höchst unwahrscheinlich sein, daß die Zahl der verlorenen Menschenleben in den letzten Jahrzehnten des 21 . Jahrhunderts unter der Schwelle von einer Milliarde gehalten werden könnte. Wer solche Expertenurteile verspottet, verhält sich nicht vernünftiger als jemand, der sich über die Pläne vorsichtiger Eltern lustig macht, die gründlich über ihre gegebenen Verhältnisse, ihre Aussichten und die Bedürfnisse ihrer Kinder nachdenken, um anschließend Entscheidungen über verschiedene Versicherungs- und Geldanlagestrategien zu treffen.
Auf der dritten Ebene geht es darum, das auf der zweiten Ebene erzielte Ergebnis in eine möglichst gründliche Untersuchung des wahrscheinlichen Resultats alternativer Strategien einzubetten. Der vernünftige Kern der Proteste gegen die bekannten Vorschläge zur Beschränkung des Ausstoßes von Treibhausgasen besteht in der richtigen Feststellung, daß diese Vorschläge jetzt lebenden Personen und unseren Nachkommen Lasten auferlegen. Hier ist die vergleichende Analyse von
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