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Wittgenstein

Wittgenstein

Titel: Wittgenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raouf Khanfir
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den Spitzen ihrer Stäbchen, als wolle sie ihm zu derart viel Esprit applaudieren.
    »Woher weiß dieser Mann eigentlich, dass du in der Zentrale arbeitest?«
    »Weiß ich nicht! Seine Tür ist verschlossen, aber er hat seine Fühler ausgestreckt. Das stand in dem Brief, den ich damals von ihm bekommen habe.«
    »Ja, aber er ist in Montreal, und du bist in Bad Berleburg.«
    »Na und!?«
    »Wie soll das gehen?«
    »Offensichtlich geht es, keine Ahnung. Ist mir aber auch egal! Das interessiert mich wirklich nicht! Du musst mir glauben, dass mich das nicht interessiert. Er hat mir seine Nummer gegeben und mir seine Hilfe angeboten, wenn ich sie brauche. Vielleicht sollte ich ihn als so etwas wie einen Freund betrachten.«
    Es gelingt ihr auf eine gute Art, gleichzeitig zu lächeln und zu kauen. Draußen vor der Fensterfront fallen dicke Schneeflocken, und die Finger, die wie Eichhörnchen über die Pipa huschen, machen eine kurze Pause. An einem der Nebentische verlangt man nach der Rechnung, die unverzüglich ausgedruckt und in einem Nussholzschälchen mit zwei oder drei bunten Bonbons an den Tisch gebracht wird. Der Service im Restaurant ist prompt und in keiner Weise aufdringlich, wie ein Lächeln, das im passenden Moment über ein Gesicht huscht.
    »Jetzt bist du der nicht mehr ganz so neue Fremde in der Stadt, den seine Vergangenheit einholt. Jemand hat dich vor einer gewissen Zeit zu seinem Lieblingsnachbarn gemacht und dich auch jetzt noch nicht losgelassen. Vielleicht sollte ich ihn als so etwas wie einen Konkurrenten betrachten.« Er schiebt sich eines der letzten Stücke der lackierten Ente in den Mund.
    »Ach, lassen wir das. Das ist ein armer Irrer, und er ist tausende Kilometer weit weg.«
    »Ist er eben nicht, und du weißt das.«
    »Ja, da magst du recht haben, aber kannst du dir eine Situation vorstellen, in der ich seine Hilfe in Anspruch nehmen würde? Solange ich ihn nicht anrufe, passiert auch nichts.«
    »Da kann ich mir hundert Situationen vorstellen. Nach dem, was du mir erzählt hast, ist er Abhörspezialist, ein Spion in eigener Sache, mit wirksamen und absolut unauffälligen Methoden. Wenn du etwas über jemanden herausfinden willst, wäre er genau der Richtige, oder?«
    »Ich will aber nichts über niemanden herausfinden.«
    »Das ist nicht wahr. Beispielsweise wüssten wir beide gerne etwas mehr über den Automörder, schon vergessen?«
    »Ja, vielleicht. Aber zum Abhören brauchst du einen Verdacht, und den haben wir nicht.«
    »Und deine Großtante Emma? Willst du nichts weiter über sie wissen?«
    »Doch, aber da hilft mir mein alter Nachbar nicht. Sie ist mausetot, was willst du da abhören? Übrigens hat Fred sie früher oft in die Stadt gefahren. Er hat mir sogar die Adresse von jemandem gegeben, der offenbar mit ihr befreundet war.«
    »Und?«
    »Ich habe mich bisher nicht getraut, hinzugehen.«
    »Du hast dich nicht getraut, hinzugehen?«
     
    Die Kirchturmuhr schlägt zum zweiten Mal, als Anne auf den Klingelknopf drückt, und hat bereits zum neunten Mal geschlagen, bevor sich die Tür einen Spalt breit öffnet und der leuchtend weiße Kopf des Alten erscheint. Für sein Alter hat er fast zu dichtes weißes Haar, das wirr von seinem Kopf absteht, als wäre er gerade aufgestanden. Das Misstrauen in seinem Gesicht verfliegt beim Anblick der beiden. Wortlos tritt er zur Seite und lässt sie mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit herein. Drinnen riecht es, als habe jemand am anderen Ende der Wohnung Zwiebeln gebraten. Der Alte hatte Leber zum Abendessen, und wie zur Bestätigung finden sich auf seinem weißen Hemd winzige dunkelbraune Flecken. Langsam vorneweghumpelnd führt er die beiden durch einen langen dunklen Flur in einen großen Raum, der für den Alten sowohl Ess- als auch Wohnzimmer zu sein scheint. Am Esstisch löst er Kreuzworträtsel, auf der Couch liest er. Ein Buch liegt auf dem Couchtisch, eine Zeitung auf dem Küchentisch. Alles hat seinen Platz. Er bittet sie, am Kreuzworträtseltisch Platz zu nehmen. Seine ersten Worte sind: »Setzt euch doch.«
    Auf dem Tisch steht eine dampfende Teekanne auf einem Stövchen. Er setzt immer zu viel auf, weil er sich nie sicher ist, ob er im Laufe des Abends nicht doch vier oder sogar fünf Tassen Kräutertee trinken wird. Nachdem die Besucher Platz genommen haben, verschwindet er in der Küche, um Tassen zu holen. Während er ihnen mit zittrigen, aber sehr konzentrierten Fingern Tee einschenkt, sagt er zu Marco H., ohne dabei den

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