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Wittgenstein

Wittgenstein

Titel: Wittgenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raouf Khanfir
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nichts Wichtigeres auf dieser Welt. Du könntest ihm den Hals umdrehen, oder besser, ihn mit dem Telefonkabel erwürgen. Nein, natürlich nicht, du würdest ihn einfach nur rausschmeißen, wenn du hier das Sagen hättest. Er macht dich wütend, das ist alles. Du magst seine Art nicht. Verlassen kann man sich auf ihn, gar keine Frage. Ihr hattet hier nie einen besseren Telefonisten. Aber er macht dich wütend, das ist es. Du fährst durchschnittlich fünf bis zehn Stundenkilometer schneller durch die Gegend, seit er dich mit seinen allwissenden Funksprüchen durch das gesamte Pflichtfahrgebiet scheucht, als seist du sein Lakai. Den Fahrgästen kann es nie schnell genug sein. Ginge es nach denen, gäbe es gar keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Seit der Neue in der Zentrale sitzt, hat sich jedenfalls keiner mehr darüber beschwert, dass du zu langsam fährst. Er macht dich wütend, aber das würdest du dir nie anmerken lassen, im Gegenteil. Wenn die Frau vom Chef die Qualitäten des Neuen wieder mal zum Thema macht, bist du ganz vorne dabei mit deinem Lob. Seine Pünktlichkeit, die schier unglaubliche Geschwindigkeit, mit der er sich eine räumliche Vorstellung von Wittgenstein angeeignet hat, seine Schweigsamkeit, ja Genügsamkeit, einfach sein sympathisches Wesen. Du lässt nichts auf ihn kommen; macht ein Kollege einen dummen Witz über ihn, dann lachst du nicht. Du findest, dass es über ihn nichts zu lachen gibt.
    Einmal hast du seinen Unterarm gepackt und fest nach unten gedrückt, um zu verhindern, dass er den Hörer abhebt. Du hast ihm etwas zugezischt, und der Blick des Telefonisten war dabei der ängstlichste aller Blicke, zuerst starr, dann, wegen deiner feuchten Aussprache, blinzelnd. Du hättest ihm ohne weiteres den Arm herumdrehen und auf den Rücken biegen können, aber du hast dich darauf beschränkt, den Unterarm mit aller Kraft auf das Telefonistenschreibtischchen zu drücken. Zuletzt waren seine Finger weiß wie Papier. Nur eine Sequenz aus einem Traum, aber so weit ist es gekommen: Du nimmst die Arbeit mit nach Hause ins Bett und wachst am nächsten Morgen mit schmerzender, blutleerer Hand auf.
    An seinem ersten Tag habt ihr euch, wie es sich gehört, die Hände geschüttelt. Die Frau vom Chef hat euch den Neuen mit ihrem mechanischen Optimismus, der sie zur eigentlichen Kraft des Betriebes hat werden lassen, vorgestellt. Nach dieser ersten Begrüßung wären aber selbst der Frau vom Chef nicht viele Gründe eingefallen, warum ein Fahrer und ein Telefonist sich noch berühren müssten, also hast du ihn seitdem nie wieder angerührt. Du solltest dich beruhigen. In der Ruhe liegt die Kraft. Niemand tut dir etwas, weder die Hilfskraft noch sonst jemand. Ist es nicht erstaunlich, wie man sein Leben lebt und keiner einen daran hindert? Du solltest dankbar sein, zum Beispiel für die Witzfigur, die sie in die Zentrale geschickt haben, um euch zu befragen, ob euch während des Nachtdienstes etwas aufgefallen sei. Ob euch etwas aufgefallen ist? Nein, dir ist nichts aufgefallen, den anderen auch nicht. Was sollte dir während des Nachtdienstes auffallen? Da ist alles ruhig. Dein Wagen steht in der Garage, und du fährst mit dem Taxi Besoffene nach Hause. Wenn jemand um die Uhrzeit an der Landstraße steht, beachtest du ihn nicht. Von denen nimmst du keinen mit, schon gar nicht im Dienst. Du bist eher der ruhige Typ und lässt die Dinge auf dich zukommen; sich über verpasste Gelegenheiten zu ärgern ist nicht deins. Es wird immer Leute geben, die an den Straßen stehen. Leute, die bei einem Hundewetter, wenn man als Autofahrer selbst mit Fernlicht keine drei Meter weit sehen kann, mitten auf der Straße rumstolpern. Leute, die immer. Leute, die früher. Leute, die ohne. Leute, die voller. Leute, die in Gedanken ganz. Leute, die sich nicht vorstellen können, dass. Leute, die umso. Leute, die eben noch.
    Leute, die nicht mehr. Leute, die du hinter dir gelassen hast. Es wird immer Leute geben, die hinter dir liegen. Du bist keiner von denen, die nur einen Fehler begehen, weil sie einen falschen Eindruck haben, und denen man mit einer gut gestellten, tragischen Falle die Augen öffnen könnte. Deine Augen sind so offen wie nur was. Du kennst hier jede Kurve. In einem anderen Leben könntest du auf einer kürzeren Strecke jeden Strauch kennen. Deine Ortskundigkeit ist deine Stärke. Das und dein fast umfassendes Schweigen, als müsstest du tatsächlich niemandem irgendetwas beweisen. Ein auffällig lautes

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