Witwe für ein Jahr (German Edition)
Zimmergenossinnen in Middlebury. Die Hannah-Figur, eine Draufgängerin par excellence, schließt einen Handel mit ihrem Freund ab: Sie wird ihn heiraten und ein Kind von ihm bekommen, damit ihm nach dem Examen, wenn seine Zurückstellung vom Militär aus Studiengründen erlischt, die Einberufung aufgrund seines neuen Status – 3A, verheiratet mit Kind – erspart bleibt. Sie nimmt ihm das Versprechen ab, sich von ihr scheiden zu lassen, falls die Ehe nicht funktioniert, und zwar zu ihren Bedingungen. (Sie bekommt das Sorgerecht, er zahlt Unterhalt für das Kind.) Das Problem ist, daß sie nicht schwanger wird.
»Wie kannst du es wagen, sie als Hannah-Figur zu bezeichnen?« wollte Ruth wiederholt von Hannah wissen. »Du hast dich die ganze College-Zeit hindurch bemüht, nicht schwanger zu werden, aber du hast es alle naselang geschafft!« Doch Hannah meinte, die Romanfigur verfüge über die für sie charakteristische »Risikobereitschaft«.
Im Roman schließt die junge Frau, die nicht schwanger wird (die Hannah-Figur), noch einen Handel, diesmal mit ihrer Zimmergenossin (der Ruth-Figur). Sie überredet sie dazu, mit ihrem Freund zu schlafen und sich von ihm schwängern zu lassen; der Handel beinhaltet, daß die Zimmergenossin (also die Ruth-Figur) dann den Freund der Hannah-Figur heiratet, um ihn so vor dem Militärdienst in Vietnam zu bewahren. Sobald der Krieg vorbei ist (oder keine jungen Männer mehr eingezogen werden), soll sich die gehorsame Zimmergenossin, die bis zu dieser schrecklichen Geschichte noch Jungfrau ist, von dem Freund scheiden lassen; dieser wird dann sofort die Hannah-Figur heiraten und mit ihr gemeinsam das Baby der Zimmergenossin großziehen.
Daß Hannah es wagen konnte, die jungfräuliche Zimmergenossin als Ruth-Figur zu bezeichnen, ärgerte Ruth, die ihre Jungfräulichkeit keineswegs im College verloren hatte – und erst recht nicht mit Hilfe von Hannahs Freund schwanger geworden war! (Dabei war Hannah die einzige von Ruths Freundinnen, die wußte, wie und wann Ruth ihre Jungfräulichkeit eingebüßt hatte, aber das ist eine andere Geschichte.) Doch Hannah behauptete, die Zimmergenossin sei genauso »ängstlich besorgt um ihre Jungfräulichkeit« wie damals Ruth.
Im Roman verachtet die Ruth-Figur den Freund ihrer Zimmergenossin natürlich und geht traumatisiert aus dieser einmaligen sexuellen Begegnung hervor; der Freund hingegen verliebt sich in die Zimmergenossin seiner Freundin und will von einer Scheidung nach Kriegsende nichts wissen.
Der Fall von Saigon im April 1975 bildet den Hintergrund für das Ende des Romans: Der Zimmergenossin wird klar, daß sie es nicht übers Herz bringt, das Baby (das sie für ihre Freundin bekommen hat) wegzugeben. Obwohl sie den Vater ihres Kindes nicht ausstehen kann, läßt sie sich bei der Scheidung auf ein gemeinsames Sorgerecht ein. Die Hannah-Figur, die die Verbindung zwischen ihrem Freund und ihrer besten Freundin in die Wege geleitet hat, verliert nicht nur ihren Freund und das Kind, sondern auch noch die Freundschaft mit ihrer ehemaligen Zimmergenossin.
Das Ganze ist eine sexuelle Farce, die jedoch bittere Folgen hat, und die humorvollen Aspekte kontrastieren mit den dunklen Rissen, die sich zwischen den Figuren auftun – ein Mikrokosmos, der widerspiegelt, wie sehr das Land damals durch den Vietnamkrieg und den Umgang der jungen Männer mit der Wehrpflicht gespalten wurde. »Dieser Roman zeigt aus dem kuriosen Blickwinkel einer Frau, wie man der Einberufung entgehen kann«, schrieb ein Rezensent über den Roman.
Hannah hatte Ruth erzählt, daß sie irgendwann einmal mit diesem Rezensenten geschlafen hatte; daher wußte sie zufällig, wie er es geschafft hatte, seiner Einberufung zu entgehen. Er hatte sich darauf hinausgeredet, psychisch angeknackst zu sein, weil er mit seiner Mutter geschlafen hatte, was diese auch bestätigte. Tatsächlich war diese Lügengeschichte ihre Idee gewesen. Und nachdem der Sohn auf diese Weise der Einberufung entgangen war, hatte er tatsächlich mit seiner Mutter geschlafen.
»Vermutlich kennt er sich mit kuriosen Blickwinkeln aus«, hatte Ruth gemeint. Hannah war empört, weil Ruth nicht so lautstark über negative Rezensionen schimpfte wie sie selbst. »Rezensionen sind kostenlose Publicity«, pflegte Ruth zu sagen. »Auch die schlechten.«
Ruth Coles internationaler Rang und Namen ließ sich daran ermessen, daß ihr dritter Roman in einigen europäischen Ländern mit solcher Spannung erwartet wurde,
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