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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Mittelschule abgeschlossen hatte, stand seine (und ihre) Anwesenheit beim diesjährigen Picknick eher im Zeichen eines Ehemaligentreffens; für Mrs. Dash war es zugleich der erste richtige Ausflug ins öffentliche Leben, seit sie Witwe geworden war. Einige Leute waren überrascht, sie zu sehen. Nicht so Eleanor Holt.
    »Das wird Ihnen guttun«, sagte Eleanor zu Jane. »Höchste Zeit, daß Sie wieder in die Welt hinausgehen.« Wahrscheinlich war es das, was Mrs. Dash zum Nachdenken veranlaßte. Sie betrachtete das Picknick der Alternativen Mittelschule nicht gerade als »die Welt«, und es lag ihr auch nichts daran, von Eleanor Holt beglückwünscht zu werden.
    Jane lenkte sich damit ab, daß sie den erfreulichen Anblick ihres Sohnes genoß. Er war unglaublich gewachsen! Und seine alten Schulkameraden … ja, die waren auch erwachsen geworden. Sogar Eleanors leidgeprüfte Tochter hatte sich zu einem recht hübschen Mädchen gemausert, natürlich und unbefangen – jetzt, wo sie in einem Internat war und nicht mehr mit dem gespenstischen Film über ihre eigene Geburt und der summenden Lustrakete ihrer Mutter unter einem Dach wohnte.
    Um sich weiter abzulenken, beobachtete Jane Dash die jüngeren Kinder. Sie kannte nicht viele von ihnen, und auch die jüngeren Eltern waren ihr teilweise fremd. Die Lehrerin, die den vibrierenden Dildo an sich genommen hatte, setzte sich neben sie. Jane hörte nicht, was sie sagte, sondern überlegte angestrengt, wie sie ihre Frage formulieren und ob sie es überhaupt wagen sollte, sie zu stellen. (»Als Sie damals dieses Ding an sich genommen haben, wie heftig hat es da vibriert? Ich meine, etwa so wie ein Mixer oder ein Pürierstab, oder war es … irgendwie … sanfter?«) Aber natürlich hätte Jane Dash eine solche Frage nie gestellt. Statt dessen lächelte sie. Irgendwann entfernte sich die Lehrerin wieder.
    Als der Nachmittag dem Ende zuging, begannen die kleineren Kinder zu frösteln. Der Strand färbte sich eierschalenbraun, das Meer grau. Auch auf dem Parkplatz standen bibbernde Kinder herum, als Mrs. Dash und ihr Sohn Picknickkoffer, Handtücher und Decken im Kofferraum verstauten. Sie hatten neben Eleanor Holt und ihrer Tochter geparkt. Jane war überrascht, Eleanors zweiten Mann hier anzutreffen. Er war ein extrem prozeßfreudiger Scheidungsanwalt, der sich nur selten bei geselligen Veranstaltungen blicken ließ.
    Wind kam auf. Die kleinen Kinder quengelten. Etwas Buntes, das aussah wie ein Floß, wurde vom Wind erfaßt. Es flog einem kleinen Jungen aus der Hand und landete auf dem Dach von Eleanor Holts Wagen. Ihr Mann wollte das bunte Ding festhalten, aber es flog weiter. Jane Dash erwischte es im Flug.
    Es war eine schlaffe Luftmatratze, blaurot gestreift, und der kleine Junge, dem sie entwischt war, lief auf Mrs. Dash zu. »Ich wollte die Luft rauslassen«, sagte er. »Sonst paßt sie nicht ins Auto. Und da ist sie weggeflogen.«
    »Paß auf, ich zeig dir was. Da ist ein Trick dabei«, sagte Mrs. Dash zu dem Jungen. Dabei hatte sie Eleanor Holt im Visier, die sich auf ein Knie niederließ und sich den Schuh zuband. Ihr prozeßfreudiger Mann saß schon hinterm Steuer. Ihre samengespendete Tochter hockte mißmutig und allein auf dem Rücksitz – dieses Wiedersehen mit ehemaligen Schulkameraden hatte sie zweifellos in ihre schreckliche Kindheit zurückversetzt.
    Jane suchte auf dem Parkplatz einen Kieselstein in der richtigen Größe. Sie schraubte die Kappe vom Ventil der blauroten Luftmatratze ab und steckte den Kiesel so in die Öffnung, daß er den Ventilstift hinunterdrückte. Zischend strömte die Luft aus.
    »Du brauchst nur das Steinchen runterzudrücken«, erklärte Mrs. Dash dem kleinen Jungen und zeigte es ihm. »So.« Die Luft entwich stoßweise aus der Matratze. »Und wenn du die Matratze fest zusammendrückst, so wie ich, geht die Luft noch schneller raus.«
    Doch als Jane es ihm vormachte, bewirkte die ausströmende Luft, daß das Steinchen im Ventil zu klappern anfing. Eleanor hörte das Geräusch in dem Moment, in dem sie sich aufrichtete.
    »Ssst! Ssst! Ssst!« machte die blaurote Luftmatratze. Das Entzücken stand dem kleinen Jungen ins Gesicht geschrieben. Es war ein herrliches Geräusch. Doch Eleanor Holts Miene verriet die plötzliche Erkenntnis, daß man sie bloßgestellt hatte. Ihr Mann drehte sich (wie bei einer Gerichtsverhandlung) zu dem Geräusch um; dann drehte sich auch Eleanors Tochter zu dem Geräusch um. Sogar Jane Dashs Sohn, der zweimal

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