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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Freunde«, fügte der hartnäckige junge Mann hinzu. (Wahrhaftig ein interessantes Thema!)
    »Der Freund aus Im selben Waisenhaus war ein anständiger Kerl«, rief Ruth ihrem giftigen Leser in Erinnerung.
    »Keine Mütter!« rief eine ältere Frau aus dem Publikum.
    »Und keine Väter«, konterte Ruth.
    Allan Albright hielt sich mit beiden Händen den Kopf. Er hatte ihr davon abgeraten, sich auf Fragen aus dem Publikum einzulassen und gemeint, wenn sie es nicht fertigbringe, eine aggressive oder bissige Bemerkung an sich abprallen und einfach auf sich beruhen zu lassen, solle sie lieber die Finger von diesem Frage-und-Antwort-Spiel lassen. Vor allem dürfe sie nicht so schnell »zurückschlagen«.
    »Aber ich schlage gern zurück«, hatte Ruth ihm erklärt.
    »Aber du darfst nicht gleich beim ersten oder zweiten Mal zurückschlagen«, hatte Allan ihr eingeschärft. Seine persönliche Regel lautete: »Sei zweimal nett.« Im Prinzip hielt Ruth diesen Rat für vernünftig, aber ihn zu befolgen fiel ihr schwer.
    Allan war der Meinung, daß man die erste und zweite Grobheit am besten überging. Wenn jemand dann noch weiterstichelte oder einen ein drittes Mal bösartig angriff, zahlte man es ihm mit gleicher Münze heim. Vielleicht war dieses Verhaltensprinzip zu gentlemanlike, als daß Ruth sich daran hätte halten können.
    Als sie sah, wie Allan sich an den Kopf griff, nahm sie ihm sein demonstratives Mißfallen übel. Warum hatte sie nur so oft etwas an ihm auszusetzen? Im wesentlichen schätzte sie seine Gewohnheiten – zumindest was die Arbeit betraf –, und sie war überzeugt, daß er einen guten Einfluß auf sie ausübte.
    Im Grunde genommen brauchte Ruth Cole eher einen Lektor für ihr Leben als für ihre Romane. (In diesem Punkt hätte sogar Hannah ihr recht gegeben.)
    »Die nächste Frage?« sagte Ruth. Sie hatte sich Mühe gegeben, ihre Aufforderung fröhlich klingen zu lassen, sogar ermutigend, aber die Animosität in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Sie hatte ihr Publikum nicht zum Fragen aufgefordert, sie hatte es herausgefordert.
    »Woher nehmen Sie Ihre Ideen?« fragte irgendein unschuldiges Wesen; es war nicht zu sehen, eine eigenartig geschlechtslose Stimme in dem riesigen Saal. Allan verdrehte die Augen. Die unvermeidliche »Einkaufsfrage«, wie er sie nannte: Dahinter stand die naive Annahme, daß man die Zutaten für Romane einkaufte wie für einen Kuchen.
    »Meine Romane basieren nicht auf Ideen, ich habe keine Ideen«, entgegnete Ruth. »Ich beginne mit den Charakteren, die mich zu den Problemen führen, die diese Figuren wahrscheinlich haben, und daraus ergibt sich dann eine Geschichte – jedesmal.« (Eddie hinter der Bühne hatte das Gefühl, er sollte sich Notizen machen.)
    »Stimmt es, daß Sie nie einen Job hatten, einen richtigen Job, meine ich?« Es war wieder der impertinente junge Mann, der sie gefragt hatte, warum sie sich wiederholte. Sie hatte ihn nicht aufgerufen; wieder griff er sie an, unaufgefordert.
    Es stimmte, daß Ruth nie einen »richtigen« Job gehabt hatte, doch bevor sie auf die versteckte Anspielung antworten konnte, stand Allan Albright auf, drehte sich um und wandte sich dem unhöflichen jungen Mann im hinteren Teil des Konzertsaals zu.
    »Schriftsteller zu sein ist ein richtiger Job, Sie Arschloch!« sagte er. Ruth wußte, daß er mitgezählt hatte. Und er war zweimal nett gewesen.
    Allans Ausbruch wurde mit mäßigem Applaus quittiert. Als er sich wieder der Bühne zuwandte, machte er Ruth sein typisches Zeichen: Er fuhr sich mit dem rechten Daumen quer über die Kehle, wie mit einem Messer. Das bedeutete: Runter von der Bühne.
    »Danke, noch einmal vielen Dank«, sagte Ruth zu ihrem Publikum. Auf dem Weg hinter die Bühne blieb sie kurz stehen, drehte sich um und winkte den Leuten im Saal zu; der Applaus war noch immer herzlich.
    »Wieso signieren Sie eigentlich keine Bücher? Alle anderen Autoren signieren ihre Bücher!« rief das penetrante Ekel. Bevor sie ihren Weg hinter die Bühne fortsetzte, stand Allan noch einmal auf und drehte sich um. Ruth brauchte nicht hinzusehen, sie wußte auch so, daß Allan dem Widerling den Stinkefinger zeigte, eine Geste, mit der er nicht gerade sparsam umging.
    Ich mag ihn wirklich gern, und er wird bestimmt gut auf mich aufpassen, dachte Ruth. Dennoch konnte sie nicht leugnen, daß Allan sie manchmal auch nervte.
    Hinten im Künstlerzimmer nervte er sie schon wieder. »Du hast nicht ein einziges Mal den Buchtitel

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