Witwe für ein Jahr (German Edition)
kleinen, aber triumphierenden Häufchen Frauen, die das Feuer beschickten. Echte Feuerwehrmänner standen für den Fall bereit, daß die Flammen, die die Darstellungen von eifrigen sexuellen Verrenkungen und vereinzelten Geschlechtsteilen verschlangen, plötzlich um sich greifen sollten.
In Suffolk County vergingen sechs Jahre ohne eine weitere öffentliche Demonstration in Sachen Sexualmoral. Die samengespendete Tochter war zwölf, als sie Eleanor Holts Dildo, einen batteriebetriebenen Vibrator, in die Alternative Mittelschule von Bridgehampton mitnahm – als Beitrag zu jenem unklugen Bestandteil amerikanischer Grundschulerziehung, der den Kindern unter dem Motto Show and Tell Gelegenheit gibt, persönliche Errungenschaften vorzuführen. Und wieder kam Jane Dashs Sohn, der sich bei der Geburtstagsparty der Sechsjährigen den Film über ihre Geburt hatte ansehen müssen, in den Genuß, einen kurzen Blick in Mrs. Holts Privatleben zu werfen.
Zum Glück hatte die zwölfjährige Tochter keine Erfahrung im Umgang mit dem Gerät, das ihr die erstaunte Lehrerin hastig abnahm. Bemerkenswert daran war eigentlich nur die schockierende Größe. Mrs. Dash, die das Ding nie zu Gesicht bekommen hatte, schloß aus der Beschreibung ihres Sohnes, daß der Dildo unmöglich einem echten männlichen Glied nachgebildet sein konnte. Der Junge verglich den Vibrator mit »einer Art Rakete«. Ebenfalls in Erinnerung geblieben war ihm das Geräusch, das die Rakete machte, wenn man sie anschaltete. Der Vibrator vibrierte, was auch sonst. Während dies nicht sonderlich auffiel, bis die Lehrerin ihn der Zwölfjährigen aus der Hand riß und abstellte, erstaunte das eigenartige Geräusch zumindest die, die es gehört hatten.
»Kannst du mir genau beschreiben, wie es sich angehört hat?« fragte Jane ihren Sohn.
»Ssst! Ssst! Ssst!« machte der Junge. In diesem Summen mit einem t am Ende lag eine leise Warnung, wie Mrs. Dash fand. Und dieses Geräusch ging ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Mit diesem Geräusch kehrte auch die Erinnerung an die fröhliche Ausgelassenheit ihres verstorbenen Gatten zurück und verfolgte sie hartnäckig. Wann immer sie beide Eleanor Holt irgendwo erspäht hatten – bei einer Dinnerparty, im Supermarkt oder wenn sie ihre Tochter vor der Alternativen Schule absetzte –, hatte ihr Mann ihr ein amüsiertes »Ssst!« ins Ohr geflüstert. Jane kam es jedesmal vor, als wollte er ihr auf seine kluge Art empfehlen, sich in acht zu nehmen.
Wiederholt stellte sie fest, daß ihr sein fröhlicher Übermut am allermeisten fehlte. Allein der Anblick von Eleanor Holt erinnerte Jane mit Nachdruck an ihr Witwendasein und an das, was sie verloren hatte.
Wieder vergingen fünf Jahre, aber die Episode mit dem Dildo blieb Jane im Gedächtnis, als wäre es gestern gewesen. Daß es sie dazu trieb, Eleanor Holt mit einer nahezu perfekten Imitation des von ihrem Vibrator erzeugten Geräuschs zu konfrontieren, hatte zweierlei Gründe: Zum einen verspürte sie das dringende Bedürfnis, den Sinn für Humor, den ihr verstorbener Mann besessen hatte, wiederaufleben zu lassen, zum anderen brauchte sie ein Ventil. Und wenn sie Eleanor nicht unmittelbar etwas antat, würde sie zwangsläufig über sie schreiben, und das wollte sie auf gar keinen Fall. Als Romanautorin widerstrebte es ihr, über lebende Personen zu schreiben; sie empfand es als mangelnde Phantasie, denn jeder Romanautor, der diese Bezeichnung verdient, muß imstande sein, Figuren zu erfinden, die interessanter sind als ihre lebenden Vorbilder. Eleanor Holt zu einer Romanfigur zu machen, und sei es nur, um sich über sie zu mokieren, wäre zuviel der Ehre gewesen.
Außerdem ging der Situation, in der Mrs. Dash beschloß, das Geräusch von Eleanors Vibrator nachzuahmen, keinerlei »Entschluß« voraus. Es war reiner Zufall und, im Gegensatz zu ihren Romanen, nicht geplant. Ausgangspunkt war das alljährliche Picknick der Alternativen Mittelschule, eine Art alternatives Schulpicknick, das erst einige Zeit nach Ende des Schuljahrs stattfand, damit alle Beteiligten in den Genuß des ersten guten Badewetters kamen. Der Atlantik war bis Ende Juni extrem kalt. Und hätte man bis Juli mit dem Schulpicknick gewartet, wäre der öffentliche Strand von »Sommermietern« überschwemmt gewesen.
Mrs. Dash hatte nicht die Absicht, vor August schwimmen zu gehen; sie war nie bei einem Schulpicknick geschwommen, nicht einmal zu Lebzeiten ihres Mannes. Und da ihr Sohn die Alternative
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