Witwe für ein Jahr (German Edition)
späte Bestrafung durch die Gottheit« oder so ähnlich, aber genau konnte sie sich nicht mehr erinnern. Wie dem auch sei, trotz der Jahrhunderte, die dazwischen lagen, mußte Plutarch dabei an Eleanor Holt gedacht haben.
Mrs. Dashs verstorbener Gatte hatte einmal gesagt, Eleanor sei eine Frau, die unter dem ständigen Zwang stehe, sich zu revidieren. (Jane fand das sehr mild ausgedrückt.) Zu Beginn ihrer Ehe war Eleanor Holt eine dieser Frauen gewesen, die derart mit ihrem Eheglück protzen, daß jeder, der sich irgendwann einmal hat scheiden lassen, sie aus tiefstem Herzen haßte. Und kaum war sie frisch geschieden, wurde sie eine so vehemente Befürworterin der Scheidung, daß jeder, der glücklich verheiratet war, sie am liebsten umgebracht hätte.
In den sechziger Jahren war sie, was niemand wunderte, Sozialistin, in den siebziger Jahren Feministin. Solange sie in New York lebte, vertrat sie die Ansicht, das Leben in den Hamptons – sie sagte dazu: »auf dem Land« – sei nur etwas für Schönwetterwochenenden; das ganze Jahr über oder auch bei schlechtem Wetter dort zu leben sei nur etwas für Spießer und Langweiler.
Als sie Manhattan den Rücken kehrte, um sich ganz in den Hamptons – und in ihrer zweiten Ehe – niederzulassen, verkündete sie, das Stadtleben eigne sich nur für Menschen, die ständig auf der Jagd nach sexuellen Abenteuern und Nervenkitzel seien und denen die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis abgehe. (Auch als sie schon viele Jahre in Bridgehampton wohnte, betrachtete sie den südlichen Ausläufer von Long Island noch als ländliche Gegend, da sie noch nie mit richtigem Landleben in Berührung gekommen war. Sie hatte ein Frauen-College in Massachusetts besucht, und obwohl sie das dortige Umfeld eindeutig als unnatürlich erlebt hatte, stufte sie es weder als ländlich noch als städtisch ein.)
Früher einmal hatte Eleanor in aller Öffentlichkeit ihren Büstenhalter verbrannt, vor einer kleinen Menschenansammlung auf einem Grand-Union-Parkplatz, doch die ganzen achtziger Jahre hindurch war sie eine militante Republikanerin, was angeblich dem Einfluß ihres zweiten Mannes zu verdanken war. Nachdem sie jahrelang vergeblich versucht hatte, schwanger zu werden, empfing sie ihr einziges Kind schließlich mit Hilfe einer anonymen Samenspende; daraufhin wurde sie eine erbitterte Abtreibungsgegnerin – was möglicherweise dem Einfluß des »geheimnisvollen Spermas« zuzuschreiben war, wie ihr verstorbener Mann es genannt hatte.
Innerhalb von zwei Jahrzehnten machte Eleanor Holt eine Entwicklung von der Allesesserin zur strengen Vegetarierin und wieder zurück zur Allesesserin durch. Ihre verwirrenden Ernährungsumstellungen zwang sie auch ihrem samengespendeten Kind auf, einem etwas verhuschten Mädchen, dessen erste Geburtstagsparty – sie wurde damals sechs – Eleanor dadurch verdarb, daß sie den eingeladenen Kindern die auf Schmalfilm festgehaltene Geburt ihrer Tochter vorführte.
Unter den traumatisierten Kindern bei dieser Geburtstagsfeier war auch Jane Dashs einziger Sohn gewesen. Da Mrs. Dash sich in Gegenwart ihres Sohnes körperlich immer sehr zurückhaltend gezeigt hatte, bekümmerte sie dieser Vorfall. Ihr verstorbener Gatte war häufig nackt im Haus umhergelaufen – er schlief auch nackt –, aber das hatte Jane nicht beunruhigt, zumindest nicht in bezug auf ihren Sohn. Schließlich waren beide Männer. Sie selbst jedoch hatte stets streng darauf geachtet, sich zu bedecken. Dann war ihr Sohn von der Geburtstagsparty der kleinen Holt nach Hause gekommen, wo er einen offenbar recht anschaulichen Film über eine echte Geburt gesehen hatte – und Eleanor Holt, einsehbar wie ein aufgeschlagenes Buch!
Im Laufe der Jahre sollte Eleanor ihrer bedauernswerten Tochter diesen Film immer wieder aufzwingen, und nicht unbedingt aus erzieherischen Gründen. Nein, Jane war davon überzeugt, daß Eleanor Holt unter grenzenlosem Geltungsbedürfnis litt: Diese Frau mußte ihrer eigenen Tochter unbedingt demonstrieren, wie sehr sie, zumindest bei ihrer Geburt, gelitten hatte.
Die Tochter wiederum hatte ein recht widerspenstiges Naturell – vielleicht angeboren, vielleicht auch erworben. Ob es darauf zurückzuführen war, daß sie ihre eigene blutige Geburt übermäßig oft mit ansehen mußte, oder ob es etwas mit den unbekannten Genen des »geheimnisvollen Spermas« zu tun hatte – jedenfalls schien sie es darauf anzulegen, ihre Mutter in Verlegenheit zu bringen. Und diese
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