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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hatte –, hatte Allan schauerliche Tischmanieren. Er aß von sämtlichen erreichbaren Tellern, war auch nicht darüber erhaben, sich abfällig über das Essen eines anderen zu äußern, nachdem er davon probiert hatte, und außerdem blieb ihm immer etwas zwischen den Zähnen hängen.
    Ruth sah ihn flüchtig an; sie rechnete damit, ein verräterisches Restchen Rucola an seinen übermäßig langen Eckzähnen zu entdecken. Er hatte eine lange Nase und ein längliches Kinn, die einen Hauch Vornehmheit ausstrahlten, was durch die breite, flache Stirn und den dichten Schopf kurzgeschnittener, dunkelbrauner Haare jedoch wieder wettgemacht wurde. Obwohl Allan Albright vierundfünfzig war, deutete nichts auf drohenden Haarausfall hin, und er hatte nicht ein einziges graues Haar.
    Bis auf seine langen Zähne, die ihm einen wölfischen Zug verliehen, sah er relativ gut aus. Und obwohl er ziemlich schlank und gut in Form war, aß er mit Genuß. Gelegentlich trinkt er auch etwas zu genußvoll, dachte Ruth besorgt – schon wieder eine Wertung. Derzeit schien sie ihn ständig zu bewerten, häufig wenig wohlwollend. Ich sollte mit ihm schlafen und mich entscheiden, dachte sie.
    Dann fiel ihr wieder ein, daß Hannah sie versetzt hatte. Ruth hatte vorgehabt, Hannah als Vorwand zu benutzen, um nicht mit Allan schlafen zu müssen – das heißt, diesmal sollte Hannah ihr als Vorwand dienen. Sie wollte Allan erklären, als uralte Freundinnen seien sie es gewohnt, jedesmal die ganze Nacht aufzubleiben und sich endlos zu unterhalten.
    Wenn Ruths Verlag nicht für ihren Aufenthalt in New York aufkam, wohnte Ruth für gewöhnlich bei Hannah; sie hatte sogar den Schlüssel zu ihrer Wohnung.
    Da Hannah nicht aufgetaucht war, würde Allan ihr vorschlagen, mit in seine Wohnung zu kommen, oder sie in ihre Suite im Stanhope begleiten, die ihr Random House zur Verfügung stellte. Allan hatte es sehr geduldig hingenommen, daß sie sich noch immer weigerte, mit ihm zu schlafen; er hatte sich sogar eingeredet, es würde bedeuten, daß sie seine Zuneigung extrem ernst nahm, was ja auch der Fall war. Auf die Idee allerdings, Ruth könnte sich sträuben, weil sie befürchtete, es gräßlich zu finden, war er nicht gekommen. Für Ruth hatte es etwas mit seiner Angewohnheit zu tun, von anderer Leute Tellern zu essen, und damit, wie er sein Essen hinunterschlang.
    Sein Ruf als ehemaliger Weiberheld spielte dabei keine Rolle. Er hatte ihr offen und ehrlich gesagt, daß sich durch »die richtige Frau«, die sie anscheinend war, alles verändert hatte; und sie hatte keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Es lag auch nicht an seinem Alter. Er war besser in Form als viele jüngere Männer; er sah nicht aus wie vierundfünfzig, und intellektuell war er recht anregend. Einmal (und das war weniger lange her als Ruths letzte mit Hannah verplauderte Nacht) hatten sie sich bis zum Morgengrauen ihre Lieblingspassagen aus Graham Greene vorgelesen.
    Das erste Geschenk, das Ruth von Allan bekommen hatte, war der erste Band der Graham-Greene-Biographie von Norman Sherry gewesen. Ruth hatte sie bewußt langsam gelesen, es genossen und zugleich befürchtet, womöglich etwas über Graham Greene zu erfahren, was ihr nicht gefiel. Sie fand es beunruhigend, Biographien von Autoren zu lesen, die sie sehr gern mochte, weil sie vorzog, nichts über ihre unsympathischen Seiten zu erfahren. Bislang hatte Sherry in seiner Biographie Graham Greene mit der Hochachtung behandelt, die er ihrer Ansicht nach verdient hatte. Aber die Tatsache, daß sie mit der Lektüre so langsam vorankam, erfüllte Allan mit mehr Ungeduld als ihre sexuelle Zurückhaltung. (Er hatte gemeint, bestimmt werde der zweite Band von The Life of Graham Greene erscheinen, bevor sie den ersten zu Ende gelesen habe.)
    Nun, da Hannah nicht erschienen war, fiel Ruth ein, daß sie Eddie O’Hare vorschieben konnte, um an diesem Abend nicht mit Allan schlafen zu müssen. Bevor Eddie von der Toilette zurückkam, sagte sie: »Nach dem Essen – ich hoffe, keiner von euch nimmt mir das übel – möchte ich Eddie ganz für mich allein haben.« Karl und Melissa warteten darauf, daß Allan sich dazu äußerte, aber Ruth sprach schon weiter. »Ich kann mir nicht vorstellen, was meine Mutter an ihm gefunden hat, außer daß er mit sechzehn bestimmt unglaublich hübsch war.«
    »O’Hare ist noch immer ›unglaublich hübsch‹«, brummte Allan. Ruth dachte: O Gott, er wird doch nicht eifersüchtig sein!
    »Vielleicht hat sich

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