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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ums Leben kamen«, fügte er hinzu.
    Das hatte Ruth nicht gewußt. Sie äußerte sich erbittert über ihren Vater, weil er ihr diese Information vorenthalten hatte, aber Eddie erklärte ihr, Ted habe es ihr nicht sagen können, weil er gar nicht gewußt habe, daß Marion erwog, ihn zu verlassen.
    Ruth und Eddie hatten über so vieles gesprochen, daß Ruth nicht einmal einen Bruchteil all dessen in ihr Tagebuch schreiben konnte. Eddie hatte Marion unter anderem als »Anfang und Höhepunkt seines Sexuallebens« bezeichnet. (Das allerdings hielt Ruth fest.)
    Und auf der Taxifahrt ins Stanhope, mit der Bücher-Einkaufstasche der schrecklichen alten Dame zwischen den Knien, hatte er zu Ruth gesagt: »Diese ›schreckliche alte Frau‹, wie du sie nennst, ist etwa so alt wie deine Mutter. Und deshalb ist sie für mich keine ›schreckliche alte Frau‹.«
    Ruth fand es umwerfend, daß ein achtundvierzigjähriger Mann noch immer für eine Frau schwärmte, die inzwischen einundsiebzig war!
    »Angenommen, meine Mutter wird neunzig, bist du dann immer noch ein verliebter Endsechziger?« wollte sie wissen.
    »Davon bin ich fest überzeugt«, antwortete Eddie.
    Noch etwas schrieb Ruth Cole in ihr Tagebuch, nämlich daß Eddie das genaue Gegenteil ihres Vaters war. Jetzt mit siebenundsiebzig machte Ted Cole Jagd auf Frauen in Ruths Alter, obwohl er allmählich immer weniger gut bei ihnen ankam. Mehr Erfolg hatte er bei Frauen mit Ende Vierzig, Frauen in Eddies Alter!
    Sollte Ruths Vater neunzig werden, würde er vielleicht endlich hinter Frauen her sein, die zumindest vom Aussehen her eher seinem Alter entsprachen – Frauen nämlich, die »erst« Mitte Siebzig waren!
    Das Telefon klingelte. Ruth konnte ihre Enttäuschung nicht verhehlen, daß es Allan war. Sie hatte in der Hoffnung abgenommen, es sei Eddie. Vielleicht ist ihm noch etwas eingefallen, was er mir sagen muß! hatte sie sich gewünscht.
    »Ich hoffe, du hast noch nicht geschlafen«, sagte Allan. »Und du bist allein.«
    »Beides«, antwortete Ruth. Warum mußte er den positiven Eindruck zunichte machen, den jenes Anklingen von Eifersucht hinterlassen hatte?
    »Na, wie war es?« fragte Allan.
    Plötzlich war Ruth zu müde, um ihm alle Einzelheiten zu erzählen, an die sie noch Sekunden vor seinem Anruf ganz aufgeregt gedacht hatte.
    »Es war ein ganz besonderer Abend«, sagte sie. »Ich habe einen völlig anderen, viel besseren Eindruck von meiner Mutter gewonnen – und nicht nur von ihr, auch von mir selbst«, fügte sie hinzu. »Vielleicht sollte ich doch nicht solche Angst davor haben, daß ich eine lausige Ehefrau abgebe. Und vielleicht wäre ich auch gar keine so schlechte Mutter.«
    »Das habe ich dir schon oft gesagt«, rief Allan ihr ins Gedächtnis. Warum konnte er nicht einfach dankbar dafür sein, daß sie möglicherweise in die Richtung umschwenkte, die er sich wünschte?
    In diesem Moment wußte Ruth, daß sie auch am nächsten Abend nicht mit Allan schlafen würde. Es hatte einfach keinen Sinn, mit jemandem zu schlafen und dann für fast drei Wochen nach Europa zu verschwinden. (Ebensowenig, wie es ständig hinauszuzögern, wenn sie es recht bedachte. Sie würde nicht einwilligen, Allan zu heiraten, ohne mit ihm geschlafen zu haben – wenigstens einmal.)
    »Ich bin furchtbar müde, Allan, und mir geht so viel Neues im Kopf herum«, begann Ruth.
    »Ich höre«, sagte er.
    »Ich möchte morgen abend nicht mit dir essen, ich möchte dich erst wiedersehen, wenn ich aus Europa zurückkomme«, erklärte sie. Halb hoffte sie, daß er versuchen würde, sie umzustimmen, aber er schwieg. Selbst die Geduld, die er mit ihr hatte, irritierte sie.
    »Ich höre noch immer«, sagte er, weil sie nicht weitersprach.
    »Ich möchte mit dir schlafen, ich muß mit dir schlafen«, versicherte ihm Ruth. »Aber nicht unmittelbar vor meiner Abreise. Und nicht unmittelbar bevor ich meinen Vater besuche«, fügte sie hinzu, obwohl sie wußte, daß das eine nichts mit dem anderen zu tun hatte. »Ich brauche die Zeit, in der ich weg bin, um über uns nachzudenken.« So formulierte sie es schließlich.
    »Verstehe«, sagte Allan. Es brach ihr das Herz zu wissen, daß er ein guter Mensch war, aber nicht sicher zu sein, ob er der Richtige für sie war. Und wie sollte »die Zeit, in der sie weg war«, ihr helfen, das zu entscheiden? Was sie brauchte, um sich Gewißheit zu verschaffen, war mehr Zeit mit Allan.
    Trotzdem sagte sie: »Ich wußte, daß du mich verstehen würdest.«
    »Ich

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