Witwe für ein Jahr (German Edition)
liebe dich sehr.«
»Ich weiß.«
Später, als Ruth nicht einschlafen konnte, gab sie sich Mühe, nicht an ihren Vater zu denken. Zwar hatte Ted Cole seiner Tochter von der Affäre ihrer Mutter mit Eddie O’Hare erzählt, aber er hatte ihr verschwiegen, daß diese Affäre seine Idee gewesen war. Ruth war entsetzt gewesen, als sie von Eddie erfuhr, daß ihr Vater ihn und Marion quasi verkuppelt hatte. Entsetzt nicht so sehr darüber, daß ihr Vater diese Geschichte eingefädelt hatte, um ihrer Mutter das Gefühl zu geben, als Mutter untauglich zu sein; denn daß ihr Vater gern Ränke schmiedete, wußte sie. Wirklich entsetzt war sie darüber, daß ihr Vater sie für sich allein haben und um jeden Preis ihr Vater sein wollte!
Jetzt mit sechsunddreißig, hin und her gerissen zwischen Liebe und Haß auf ihren Vater, war es qualvoll für sie, erkennen zu müssen, wie sehr ihr Vater sie liebte.
Hannah mit fünfunddreißig
Ruth konnte nicht einschlafen. Schuld daran war außer dem Cognac noch etwas, was sie Eddie gestanden hatte und wovon nicht einmal Hannah Grant wußte. Bei jeder wichtigen Etappe in ihrem Leben hatte Ruth darauf gehofft, daß sich ihre Mutter meldet: bei ihrem Abschluß in Exeter – aber nichts geschah; bei ihrem Abschluß in Middlebury – wieder kein Wort.
Trotzdem hatte Ruth auch weiterhin gehofft, irgendwann von Marion zu hören, vor allem 1980, als ihr erster Roman erschien. Auch bei Erscheinen des zweiten Romans, 1985, und des dritten, jetzt im Herbst 1990. Deshalb war Ruth auch so wütend auf die dreiste Mrs. Benton gewesen, die sich als ihre Mutter ausgegeben hatte. Jahrelang hatte Ruth sich ausgemalt, daß Marion sich womöglich genau so ankündigen würde.
»Glaubst du, sie läßt sich überhaupt jemals blicken?« hatte sie Eddie im Taxi gefragt.
Eddie hatte ihre Hoffnung enttäuscht. Im Laufe dieses aufregenden Abends hatte er viel dazu getan, Ruths ungerechtfertigten ersten Eindruck von ihm wettzumachen, aber im Taxi geriet er arg ins Schleudern.
»Äh …«, begann er, »ich könnte mir vorstellen, daß deine Mutter erst mit sich selbst ins reine kommen muß, bevor sie … äh … wieder in dein Leben treten kann.« Eddie machte eine Pause, als hoffte er, das Taxi würde gleich vor dem Stanhope vorfahren. »Äh …«, fuhr er unsicher fort, »Marion hat vermutlich mit ihren bösen Geistern zu kämpfen, mit ihren Gespenstern, und irgendwie muß sie damit fertig werden, bevor sie sich dir zuwenden kann.«
»Sie ist meine Mutter, verdammt noch mal!« Ruth begann zu weinen. » Ich bin der böse Geist, mit dem sie versuchen sollte fertig zu werden!«
Eddie fiel darauf nichts Besseres ein als: »Beinahe hätte ich es vergessen! Ich wollte dir noch ein Buch geben, zwei, um genau zu sein.«
Sie hatte ihm eine lebenswichtige Frage gestellt: Durfte sie vernünftigerweise darauf hoffen, daß ihre Mutter sich jemals mit ihr in Verbindung setzen würde? Und was tat Eddie? Er wühlte in seiner feuchten Aktentasche und zog zwei übel zugerichtete Bücher heraus.
Eines davon war seine mit einer Widmung versehene Auflistung der mit Marion genossenen sexuellen Wonnen, Sechzigmal. Und das andere? Er brachte es nicht fertig, ihr zu sagen, worum es sich handelte, sondern legte ihr das Buch im Taxi einfach auf den Schoß.
»Du hast doch gesagt, du fährst nach Europa«, meinte er. »Das ist eine gute Flugzeuglektüre.«
Unglaublich, daß er ihr in diesem Moment auf die für sie so wichtige Frage hin »Flugzeuglektüre« in die Hand drückte. Wenig später hielt das Taxi vor dem Stanhope. Denkbar ungeschickt gab Eddie Ruth die Hand. Sie gab ihm ganz selbstverständlich einen Kuß auf die Wange, und er errötete, wie ein Sechzehnjähriger!
»Wir müssen uns wiedersehen, wenn du aus Europa zurück bist!« rief Eddie ihr aus dem weiterfahrenden Taxi nach.
Vielleicht waren Abschiede nicht seine Stärke. Adjektive wie »mitleiderregend« und »jämmerlich« wurden ihm offen gestanden nicht gerecht. Er erhob seine Bescheidenheit zu einer Kunstform. »Er trug seine Selbstverachtung wie eine Ehrennadel«, schrieb Ruth in ihr Tagebuch. »Aber von einem Frettchen hat er nichts an sich.« (Ruths Vater hatte ihn mehrmals so bezeichnet.)
Noch etwas war Ruth gleich zu Beginn ihres gemeinsamen Abends aufgefallen. Eddie beklagte sich nie. Abgesehen von seinem hübschen Äußeren, seiner zerbrechlich wirkenden Schönheit, hatte ihre Mutter womöglich etwas an ihm entdeckt, was über seine Loyalität ihr
Weitere Kostenlose Bücher