Witwe für ein Jahr (German Edition)
seiner tückischen Scheune Squash spielte. Hannah hatte damals das gleiche gesagt – daß die beiden gut aussahen. Typisch für Hannah, daß sie sich daran erinnert, dachte Ruth.
»Eddie und ich konnten uns auch noch an das Foto erinnern, das mitten in der Küche hing und auf dem die beiden Hummer essen«, fuhr Ruth fort. »Thomas zerlegt seinen Hummer gelassen und teilnahmslos wie ein Wissenschaftler, sein Gesicht wirkt nicht im mindesten angestrengt. Timothy hingegen kämpft mit seinem Hummer, und der Hummer gewinnt! Ich glaube, an dieses Foto erinnere ich mich am deutlichsten. Ich habe mich all die Jahre gefragt, ob ich es erfunden habe oder ob es das wirklich gab. Eddie konnte sich daran am besten erinnern, also muß es wirklich dagewesen sein.«
»Hast du deinen Vater eigentlich nie nach den Fotos gefragt?« wollte Hannah wissen. »Er kann sich doch bestimmt besser daran erinnern als du oder Eddie.«
»Er war so wütend, weil meine Mutter alle Fotos mitgenommen hat, daß er sich weigerte, darüber zu reden«, antwortete Ruth.
»Du bist zu streng mit ihm«, meinte Hannah. »Ich finde ihn charmant.«
»Ich habe ein paarmal zu oft erlebt, wie ›charmant‹ er ist«, sagte Ruth. »Außerdem ist er nur charmant, vor allem in deiner Gegenwart.« Hannah ließ Ruth diese Bemerkung durchgehen, was untypisch für sie war.
Sie vertrat die Theorie, daß sich bestimmt viele Frauen, die Marion gekannt hatten (und sei es nur von einem Foto her), geschmeichelt fühlten, wenn Ted Cole sich für sie interessierte, einfach weil Marion so schön war. Ruths Kommentar zu Hannahs Theorie lautete: »Meine Mutter fand das bestimmt grandios.« Ruth gab es auf, Hannah erklären zu wollen, wie wichtig dieser Abend mit Eddie für sie gewesen war. Hannah kapierte es einfach nicht.
»Und was hat Eddie über den Sex gesagt? Hat er überhaupt was drüber gesagt?« wollte Hannah wissen.
Das ist absolut alles, was sie interessiert! dachte Ruth. Sie wollte auf keinen Fall über Sex reden, weil das Hannah im Nu wieder auf ihre Frage gebracht hätte, wann Ruth es denn endlich »mit Allan tat«.
»Was dieses Foto betrifft, an das du dich so gut erinnerst«, begann sie, »meine gutaussehenden Brüder unter dieser Inschrift in Exeter …«
»Was ist damit?« fragte Hannah.
»Eddie hat mir erzählt, daß er und meine Mutter sich unter diesem Foto geliebt haben«, berichtete Ruth. »Als sie es das erste Mal machten. Meine Mutter hat das Foto für Eddie dagelassen, aber mein Vater hat es an sich genommen.«
»Und in sein Schlafzimmer gehängt!« flüsterte Hannah heiser. »Das ist ja hochinteressant!«
»Was für ein erstaunliches Gedächtnis du hast!« bemerkte Ruth. »Sogar daran kannst du dich erinnern!« Doch Hannah reagierte nicht darauf, und wieder dachte Ruth: Dieses Gespräch hängt mir zum Hals heraus. (Fast so sehr wie die Tatsache, daß Hannah sich nie entschuldigte.)
Manchmal fragte sich Ruth, ob Hannah noch ihre Freundin sein würde, wenn Ruth nicht berühmt geworden wäre. Auf ihrem Gebiet – der Regenbogenpresse – hatte Hannah durchaus einen Namen. Anfangs war sie durch autobiographische Essays bekannt geworden. Sie führte ein satirisches Tagebuch, bei dem es sich im wesentlichen um ein Logbuch ihrer sexuellen Großtaten handelte. Doch bald langweilte sie alles Autobiographische, und sie »avancierte« zu Tod und Zerstörung.
In ihrer morbiden Phase interviewte sie Sterbende und unheilbar Kranke. Rund eineinhalb Jahre lang widmete sie ihre Aufmerksamkeit todgeweihten Kindern. Später schrieb sie einen Artikel über eine Krankenhausstation, auf der schwere Verbrennungen behandelt wurden, und einen über eine Leprakolonie. Sie reiste in Kriegsgebiete und in Länder, in denen Hungersnot herrschte.
Dann »avancierte« Hannah abermals; sie ließ Tod und Zerstörung hinter sich und wandte sich perversen und bizarren Themen zu. Einmal schrieb sie über einen männlichen Pornostar, der angeblich einen Dauerständer hatte – sein Branchenname war »Mr. Metal«. Hannah hatte auch eine Belgierin interviewt, die inzwischen über siebzig war und in über dreitausend Live-Sex-Shows aufgetreten war; ihr einziger Partner war ihr Ehemann gewesen, der im Anschluß an eine solche Darbietung gestorben war. Seitdem verzichtete die trauernde Witwe auf Sex. Sie war ihrem Mann nicht nur vierzig Jahre lang treu gewesen, sie hatte in den letzten zwanzig Jahren ihrer Ehe auch nur vor Publikum mit ihm Sex gehabt.
Inzwischen hatte Hannah eine
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