Witwe für ein Jahr (German Edition)
weitere Wandlung durchgemacht. Ihr derzeitiges Interesse galt Prominenten, und in den Vereinigten Staaten bedeutet das hauptsächlich: Filmstars und Sportidole und hin und wieder ein irrwitzig reicher Exzentriker. Einen Schriftsteller hatte Hannah noch nie interviewt, obwohl sie gelegentlich von einem »extensiven« – oder hatte sie gesagt, »expansiven«? – Interview mit Ruth gesprochen hatte.
Ruth war seit langem davon überzeugt, daß das einzig Interessante an ihr ihre Bücher waren. Der Vorstellung, sich von Hannah interviewen zu lassen, stand sie äußerst skeptisch gegenüber, weil sie wußte, daß Hannah sich mehr für ihr Privatleben interessierte als für ihre Romane. Und das, was Hannah an ihren Romanen interessierte, war das Persönliche daran – das, was Hannah als »authentisch« bezeichnet hätte.
Hannah findet Allan wahrscheinlich gräßlich, dachte Ruth plötzlich. Allan hatte ihr gestanden, daß er ihren Ruhm zwar nicht als Belastung, aber als lästig empfand. Er hatte mit einer Reihe berühmter Autoren gearbeitet, erklärte sich zu Interviews aber immer nur unter der Bedingung bereit, daß seine Äußerungen nicht namentlich zitiert wurden. Allan legte so großen Wert auf sein Privatleben, daß er seinen Autoren nicht einmal erlaubte, ihm ihre Bücher zu widmen; als ein Autor einmal hartnäckig darauf bestand, sagte Allan: »Nur wenn Sie sich auf meine Initialen beschränken, sonst nicht.« So lautete denn die Widmung: Für A. F. A. Ruth schämte sich fast, weil sie nicht mehr wußte, was sich hinter dem F. verbarg.
»Ich muß Schluß machen, ich glaube, ich höre ihn«, flüsterte Hannah.
»Du wirst mich in Sagaponack doch nicht hängenlassen, oder?« fragte Ruth. »Ich verlasse mich darauf, daß du mich vor meinem Vater schützt.«
»Ich werde dasein, verlaß dich drauf. Irgendwie komme ich schon hin«, flüsterte Hannah. »Ich glaube eher, daß dein Vater vor dir beschützt werden muß, der arme Mann.«
Seit wann war ihr Vater bei Hannah »der arme Mann«? Aber Ruth war müde; sie ließ Hannahs Bemerkung auf sich beruhen.
Nachdem Ruth aufgelegt hatte, warf sie ihre Pläne um. Da sie sich nicht mit Allan zum Abendessen treffen würde, konnte sie sich nach dem letzten Interview auf den Weg nach Sagaponack machen, einen Tag früher als vorgesehen; dann hatte sie einen Abend allein mit ihrem Vater. Ein Abend war auszuhalten. Hannah würde am nächsten Tag kommen, und den Abend würden sie dann zusammen verbringen, nur sie drei.
Ruth konnte es kaum erwarten, ihrem Vater zu sagen, wie symphathisch sie Eddie gefunden hatte – und erst recht einiges von dem, was er ihr über ihre Mutter erzählt hatte. Bestimmt war es besser, Hannah war nicht dabei, wenn Ruth ihn damit konfrontierte, daß ihre Mutter schon mit dem Gedanken gespielt hatte, ihn zu verlassen, bevor die Jungen ums Leben gekommen waren. Bei diesem Gespräch wollte sie Hannah nicht dabeihaben, weil Hannah immer die Partei ihres Vaters ergriff – vielleicht auch nur, um sie zu provozieren.
Ruth ärgerte sich so über Hannah, daß sie nicht mehr einschlafen konnte. Während sie wach lag, mußte sie auf einmal daran denken, wie sie ihre Unschuld verloren hatte. Als sie dieses Ereignis Revue passieren ließ, fiel ihr unweigerlich auch Hannahs Beitrag zu dieser mittleren Katastrophe wieder ein.
Obwohl Hannah ein Jahr jünger war als Ruth, hatte sie schon immer älter gewirkt, nicht nur, weil sie drei Abtreibungen hinter sich hatte, bevor Ruth es schaffte, ihre Unschuld zu verlieren, sondern auch, weil ihre größere Erfahrenheit in Sachen Sex ihr den Anschein von Reife und Weltläufigkeit verlieh.
Ruth war sechzehn gewesen und Hannah fünfzehn, als sie sich kennenlernten, doch was Sex betraf, hatte Hannah ein größeres Selbstbewußtsein an den Tag gelegt (schon vor ihren ersten eigenen Erfahrungen!). In ihr Tagebuch schrieb Ruth einmal über ihre Freundin: »Sie strahlte eine Welterfahrenheit aus, lange bevor sie in der Welt gewesen war.«
Hannahs Eltern, die glücklich verheiratet waren – Hannah bezeichnete sie als »langweilig« und »seriös« –, hatten ihr einziges Kind in einem schönen, alten Haus in der Brattle Street in Cambridge, Massachusetts, großgezogen. Hannahs Vater, Professor an der Harvard Law School, trat auf wie ein Aristokrat. Seine Haltung zeugte von dem entschlossenen Bestreben, um jeden Preis Distanz zu wahren, das laut Hannah zu einem Mann paßte, der eine reiche Frau ohne jeden Ehrgeiz geheiratet
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