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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Sommersprossen.
    »Freut mich, Sie kennenzulernen, Scott«, antwortete Ruth und ging wieder ins Haus.
    Ihr Vater, der noch immer nackt auf der Holzfläche stand, sagte zu Scott: »Ich kann mich nicht entschließen, ob ich reingehen soll oder nicht. Ist es kalt? Gestern war es kalt.«
    »Es ist ziemlich kalt«, hörte Ruth Scott sagen. »Aber sobald man drin ist, ist es okay.«
    Und diese ständig wechselnden Squashpartner waren offenbar Teds einzige Freunde! Dabei spielten sie noch nicht einmal besonders gut, weil ihr Vater nicht gern verlor. Meistens waren es gute Sportler, die erst vor kurzem zu spielen begonnen hatten. In den Wintermonaten fand Ted immer zahlreiche Tennisspieler, die Bewegung brauchten; sie hatten ein Gefühl für Schlägerspiele, aber Squash ist nun mal nicht Tennis. Squash spielt man aus dem Handgelenk. Und wenn die Tennisspieler im Sommer auf den Tennisplatz zurückkehrten, stellten sie fest, daß sich ihre Schlagtechnik verschlechtert hatte; Tennis kann man nicht aus dem Handgelenk spielen. Möglicherweise hatte Ted dann einen zum Squash bekehrten Spieler an der Hand.
    Ruths Vater suchte sich seine Squashgegner mit ebensoviel Egoismus und Berechnung aus wie seine Geliebten. Vielleicht waren sie wirklich seine einzigen Freunde. Ruth hätte gern gewußt, ob ihr Vater gelegentlich zu ihnen nach Hause zum Essen eingeladen wurde. Ob er sich an ihre Frauen ranmachte. Ob für ihren Vater überhaupt irgendwelche Regeln galten.
    Sie stand auf der Südseite der 41st Street, zwischen Lexington und 3rd Avenue, und wartete auf den kleinen Bus, der sie in die Hamptons bringen sollte. Sobald sie in Bridgehampton ankam, wollte sie ihren Vater anrufen, um sich abholen zu lassen.
    Ruth hatte schon versucht, ihn zu erreichen, aber er war nicht zu Hause oder ging nicht ans Telefon und hatte auch seinen Anrufbeantworter nicht eingeschaltet. Ruth hatte eine Menge Gepäck, alles, was sie in Europa brauchen würde. Sie überlegte, daß sie Eduardo oder Conchita hätte anrufen sollen. Wenn die beiden nicht etwas für ihren Vater erledigten oder bei ihm im Haus arbeiteten, waren sie eigentlich immer zu Hause. So war sie mit ihren Gedanken ganz bei dem banalen Kleinkram, der mit ihrer vorzeitigen Abreise aus New York zu tun hatte, als der jüngste Squashpartner ihres Vaters sich ihr auf dem Gehsteig der 41st Street näherte.
    »Fahren Sie nach Hause?« fragte Scott Sowieso. »Sie sind doch Ruth Cole, oder?«
    Ruth war daran gewöhnt, erkannt zu werden. Zuerst hielt sie ihn irrtümlich für einen ihrer Leser. Dann bemerkte sie die jungenhaften Sommersprossen und das kurze, gelockte Haar; sie kannte nicht viele rötlichblonde Männer. Außerdem hatte er nur eine schmale Aktenmappe und eine Sporttasche dabei, deren Reißverschluß nicht ganz zugezogen war und aus der zwei Squashschläger ragten.
    »Ach, Sie sind der Schwimmer«, sagte Ruth. Voller Genugtuung sah sie, daß er rot wurde.
    Es war ein warmer, sonniger Spätsommertag. Scott Sowieso hatte sein Anzugsakko ausgezogen und unter den Schulterriemen seiner Sporttasche gesteckt; die Krawatte hatte er gelockert, und die Ärmel seines weißen Hemdes waren bis über die Ellbogen aufgekrempelt. Als er Ruth die rechte Hand hinstreckte, fiel ihr auf, daß sein linker Unterarm dicker und muskulöser war.
    »Scott«, erinnerte er sie und schüttelte ihre Hand, »Scott Saunders.«
    »Sie sind Linkshänder, stimmt’s?« fragte Ruth. Ihr Vater war auch Linkshänder. Sie spielte nicht gern gegen Linkshänder. Ihr bester Aufschlag war der in die linke Hälfte des Squashcourts, und ein Linkshänder konnte diesen Aufschlag mit einer Vorhand retournieren.
    »Haben Sie Ihren Schläger dabei?« fragte Scott Saunders, nachdem er ihre Frage bejaht hatte. Er hatte ihr umfangreiches Gepäck bemerkt.
    »Ich habe drei Schläger dabei«, antwortete Ruth. »Im Koffer.«
    »Dann bleiben Sie wohl eine Zeitlang bei Ihrem Vater?«
    »Nur zwei Nächte. Dann fliege ich nach Europa.«
    »Ach ja?« sagte der Anwalt. »Geschäftlich?«
    »Ja, eine Promotion-Tour.«
    Sie wußte bereits, daß sie zusammen im Bus sitzen würden. Vielleicht hatte er in Bridgehampton einen Wagen stehen; dann konnte er sie (und ihr ganzes Gepäck) nach Sagaponack fahren. Vielleicht wurde er auch von seiner Frau abgeholt, und die beiden waren so nett, sie mitzunehmen. Beim Wassertreten im Pool hatte sein Ehering die Spätnachmittagssonne reflektiert. Doch als sie nebeneinander in dem kleinen Bus saßen, war der Ehering

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