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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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du dir mit dem Heiraten noch viel Zeit lassen«, meinte Hannah.
    Doch inzwischen war Ruth sechsunddreißig. Wenn sie ein Kind wollte, blieb ihr nicht mehr viel Zeit. Und als sie Allan Albright ihrem Vater gegenüber nur erwähnte, meinte er: »Wie alt ist er? Zwölf, fünfzehn Jahre älter als du?« (Ihr Vater wußte nämlich alles über jeden im Verlagswesen. Er schrieb zwar selbst nicht mehr, aber was die schreibende Zunft betraf, war er auf dem laufenden.)
    »Allan ist achtzehn Jahre älter als ich, Daddy«, gab Ruth zu. »Aber er ist wie du. Er ist kerngesund.«
    »Mich interessiert nicht, wie gesund er ist«, sagte Ted. »Wenn er achtzehn Jahre älter ist als du, stirbt er vor dir, Ruthie. Und was ist, wenn du dann mit einem kleinen Kind dastehst, das du großziehen mußt? Ganz allein …«
    Das Schreckgespenst, ein kleines Kind ganz allein großziehen zu müssen, hatte sie verfolgt. Sie wußte, wieviel Glück sie und ihr Vater gehabt hatten, denn Conchita Gomez hatte Ruth buchstäblich aufgezogen. Aber sie und Eduardo waren so alt wie ihr Vater, nur mit dem Unterschied, daß man es ihnen auch ansah. Wenn Ruth nicht bald ein Baby bekam, war Conchita zu alt, um ihr beim Aufziehen zu helfen. Eigentlich konnte sie ihr sowieso nicht helfen, denn sie und ihr Mann arbeiteten nach wie vor für Ruths Vater.
    Wie üblich, wenn es um das Thema Ehe und Kinder ging, spannte Ruth den Karren vor das Pferd; sie stürzte sich gleich auf die Frage, ob sie ein Kind bekommen sollte, noch bevor geklärt war, ob und wen sie heiraten würde. Außer Allan hatte sie keinen Menschen, mit dem sie darüber sprechen konnte. Ihre beste Freundin wollte kein Kind – Hannah war eben Hannah –, und ihr Vater war … tja, eben ihr Vater. Jetzt hätte sich Ruth noch mehr denn als Kind gewünscht, mit ihrer Mutter reden zu können.
    Zum Teufel mit ihr! dachte Ruth. Sie hatte vor langer Zeit beschlossen, sich nicht auf die Suche nach ihrer Mutter zu machen. Schließlich war Marion diejenige, die fortgegangen war. Entweder sie kam zurück, oder sie ließ es bleiben.
    Was war das nur für ein Typ Mann, der keine männlichen Freunde hatte? überlegte Ruth. Einmal hatte sie ihren Vater mit dieser Frage bewußt provoziert.
    »Ich habe doch Freunde!« hatte ihr Vater protestiert.
    »Nenne mir zwei, nenn mir nur einen!« sagte Ruth herausfordernd.
    Sie war erstaunt, als er ihr vier nannte. Lauter Namen, die sie nicht kannte. Er hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, einfach seine derzeitigen Squashgegner aufgezählt; die Namen änderten sich alle paar Jahre, weil ihre Träger unweigerlich zu alt wurden, um mit Ted Schritt halten zu können. Derzeit waren sie in Eddies Alter oder jünger. Den jüngsten von ihnen hatte Ruth kennengelernt.
    Seit Jahren hatte ihr Vater den Swimmingpool, den er sich immer gewünscht hatte, und eine Außendusche – beides mehr oder minder so, wie er es Eduardo und Eddie an jenem Sommermorgen 1958 beschrieben hatte, einen Tag nachdem Marion ihn verlassen hatte. In einer Holzkabine befanden sich zwei Duschen nebeneinander – »wie in einem Umkleideraum«, wie Ted damals angeordnet hatte.
    Ruth war damit aufgewachsen, daß sie hin und wieder nackte Männer zu Gesicht bekam und ihr Vater nackt aus der Außendusche lief und in den Pool sprang. Sexuell unerfahren, wie sie war, hatte Ruth eine Menge Penisse gesehen. Vielleicht hatte dieses Bild von ihr unbekannten Männern, die mit ihrem Vater nackt duschten und schwammen, Ruth dazu bewogen, Hannahs Unterstellung, daß größer zwangsläufig auch besser bedeutet, in Frage zu stellen.
    Im Sommer vor einem Jahr hatte sie den damals jüngsten Squashgegner ihres Vaters »kennengelernt«, einen Anwalt Ende Dreißig namens Scott Sowieso. Sie trat hinaus auf den Lattenrost am Swimmingpool, um ihr Badehandtuch und ihren Badeanzug zum Trocknen auf die Leine zu hängen, und da standen ihr Vater und sein junger Squashgegner in ihrer Après-Squash- oder Après-Dusch-Nacktheit.
    »Ruthie, das ist Scott. Meine Tochter Ruth …«, begann Ted sie vorzustellen, aber kaum hatte Scott Ruth erblickt, hechtete er in den Pool. »Er ist Anwalt«, fügte ihr Vater hinzu, solange sich Scott Sowieso noch unter Wasser befand. Dann tauchte dieser am tiefen Ende auf und begann, Wasser zu treten. Er war rötlichblond und ähnlich gebaut wie ihr Vater. Bestimmt hat er einen mittelgroßen Schlong, dachte sie.
    »Freut mich, Sie kennenzulernen, Ruth«, sagte der junge Anwalt. Er hatte kurzes, gelocktes Haar und

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