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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Vater. ›Ich habe zwei Sorten Eis mitgebracht!‹
    Ruthie nieste. Ein Teil der Rasiercreme spritzte auf den Maulwurfmann. Er konnte Rasiercreme nicht ausstehen. Und es ist gar nicht so einfach, zu laufen, wenn man blind ist. Der Maulwurfmann rumpelte gegen den Pfosten am Fuß der Treppe. Er versuchte, sich wieder hinter dem Kleiderständer in der Diele zu verstecken, aber Ruthies Vater packte ihn an seinem schlotternden Hosenboden, dort, wo sich der Schwanz befand, und warf ihn zur Haustür hinaus.
    Dann wurde Ruthie richtig verwöhnt. Sie bekam zwei Sorten Eiscreme und durfte sie sogar essen, während sie in der Badewanne saß; denn niemand sollte ins Bett gehen, solange er nach schmutziger Wäsche und Rasiercreme und Eierschalen und Kaffeesatz riecht – und kaum nach Babypuder. Wenn kleine Mädchen ins Bett gehen, sollten sie nach ganz viel Babypuder riechen und nach sonst gar nichts.«
    Auf der siebten Illustration – »eine für jeden Wochentag«, hatte Ted Cole gesagt – liegt Ruth warm eingepackt in ihrem Bett. Ihr Vater hat die Tür zum Elternschlafzimmer offengelassen, so daß das Nachtlicht zu sehen ist. Durch den Spalt im Vorhang sieht man den dunklen Himmel und in der Ferne den Mond. Und draußen auf dem Fenstersims hat sich der Maulwurfmann zusammengerollt und schläft so behaglich, als läge er unter der Erde. Seine paddelförmigen Grabhände mit den breiten Krallen verdecken sein Gesicht bis auf den rosafarbenen Stern an seiner Nase; und mindestens elf seiner zweiundzwanzig rosafarbenen Tentakel hat er an Ruths Fensterscheibe gedrückt.
    Monatelang hatten – neben anderen Modellen, die für Ruths Vater posierten – nacheinander mehrere tote, sternnasige Maulwürfe mindestens so gut wie die Sepiatinte dafür gesorgt, daß man Teds Werkstatt nicht betreten konnte. Und einmal entdeckte Ruth einen sternnasigen Maulwurf in einer Plastiktüte in der Tiefkühltruhe, wo sie ein Eis am Stiel gesucht hatte.
    Nur Eduardo Gomez schienen die toten Tierchen nicht zu stören, denn er hegte einen unversöhnlichen Haß gegen Maulwürfe jeder Art. Daß Ted ihn damit beauftragt hatte, ihn mit reichlich sternnasigen Maulwürfen zu versorgen, hatte die Stimmung des Gärtners merklich gehoben.
    Das war in dem langen Herbst gewesen, nachdem Ruths Mutter und Eddie O’Hare das Haus verlassen hatten.
    Ted hatte die Geschichte im Sommer 1958 geschrieben und immer wieder umgeschrieben, aber die Illustrationen waren später hinzugekommen. Alle Verleger – und auch seine Übersetzer – hatten Ted Cole angefleht, den Titel zu ändern. Sie fanden natürlich, das Buch müsse Der Maulwurfmann heißen, aber Ted hatte auf dem Titel Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen beharrt, weil seine Tochter ihn auf die Idee gebracht hatte.
    Und nun, in dem kleinen, roten Zimmer, in Anwesenheit von Rooies Mörder, versuchte Ruth sich dadurch zu beruhigen, daß sie an das tapfere kleine Mädchen namens Ruthie dachte, das einst mit einem Maulwurf, der fast doppelt so groß war wie sie, auf dem Treppenabsatz gestanden hatte. Endlich wagte Ruth ihre Augen zu bewegen, nur die Augen. Sie wollte sehen, was der Mörder vorhatte; sein Keuchen machte sie fast verrückt, aber nun hörte sie ihn umhergehen, und in dem düsteren Zimmer war es noch düsterer geworden.
    Der Mann hatte die Glühbirne aus der Stehlampe neben dem tiefen Sessel geschraubt. Sie war so schwach gewesen, daß weniger das fehlende Licht auffiel als die Tatsache, daß alle Gegenstände im Zimmer deutlich weniger rot wirkten. (Der Mörder hatte auch den scharlachroten Buntglasschirm entfernt.)
    Dann entnahm er seiner großen Aktentasche eine Art Scheinwerferlampe, die er in die Fassung der Stehlampe schraubte. Sie tauchte Rooies Zimmer in grelles Licht. Weder der Raum noch Rooie gewannen in diesem neuen Licht, das auch den Schrank beleuchtete. Ruth konnte ihre Knöchel über den Schuhen deutlich erkennen. In dem schmalen Vorhangspalt konnte sie sogar ihr Gesicht sehen.
    Zum Glück hatte der Mörder seine Inspektion des Zimmers beendet. Jetzt interessierte ihn nur noch die Beleuchtung der toten Prostituierten. Er richtete die grelle Lampe direkt auf Rooies Bett, um sein Motiv möglichst hell auszuleuchten. Ungeduldig schlug er auf Rooies ungehorsamen rechten Arm, der nicht dort bleiben wollte, wo er ihn hingelegt hatte; er schien enttäuscht, daß ihre Brüste so schlaff geworden waren, aber daran konnte er auch nichts ändern. Am besten gefiel sie ihm, wenn

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